Am Horizont die Freiheit
sie vor Kummer, Schuldgefühl und Angst.
Die folgende Nacht verbrachte sie voller Ungewissheit, ohne dass sie schlafen konnte. Die Gefangenen spekulierten über die hohen Lösegeldsummen, die man ihnen abverlangen würde, und über die Sklaverei, die sie erdulden müssten, wenn sie nicht die erforderlichen Mittel zusammenbringen könnten. Anna wusste, dass ihre Familie nicht über Geld verfügte. Sie würde eine Sklavin werden. Doch dies war nicht ihre unmittelbarste Sorge. Sie betete für Riccardos Seele und bat ihn um Verzeihung, und für Joan, dass er seinen Kampf siegreich und unverletzt bestehen werde. Aber ein tragischer Verdacht wurde stärker als jeder andere Gedanke. Hatte Joan ihren Mann getötet? Bis zur Erschöpfung betete sie, dass diese Befürchtung unbegründet wäre.
Wenn Riccardo von Joan getötet worden war, so wäre sie für den Tod ihres Gatten unmittelbar verantwortlich. Er war ein guter Mann und hatte es nicht verdient, von ihr verraten zu werden und durch ihre Schuld zu sterben.
Doch gleichzeitig ängstigte sie sich, weil sie wusste, dass auch Joan in den nächsten Stunden sterben konnte. In diesen Augenblicken hätte es ihr nichts ausgemacht, das tragische Schicksal ihres Ehemanns zu teilen.
102
V ilamarí beschloss, dass das Duell an Land stattfinden sollte. Dort könnten ihm außer den Offizieren keine Angehörigen der Mannschaft zusehen. Es sollte am Abend auf einem bewaldeten Hügel nördlich von Neapel beginnen. Der Admiral entschied, dass das Duell bei der ersten Verletzung aufhören sollte – allerdings hatte Joan nicht die Absicht, sich daran zu halten. Er war nicht mit Vilamarís Entscheidung einverstanden, und er würde auch nie damit einverstanden sein, dass Torrent sich Annas bemächtigte. Niemals. Wenn ihn das Großmaul besiegte, würde er sich in einem verzweifelten Angriff auf ihn stürzen, selbst wenn er verwundet wäre, und versuchen, ihm einen tödlichen Hieb zu versetzen.
Er erinnerte sich an die Zeit, als er es mit Felip aufnehmen musste, der älter und stärker als er war, und wie er ihn dank der Ratschläge seines Meisters Abdalá besiegen konnte. Noch dachte er an dessen Worte. Siegeswille, gemeinschaftliches Handeln und Überraschung. Die beiden letzten Taktiken konnte er diesmal nicht zu seinen Gunsten nutzen, wohl aber den Willen. Dieser Wille, das hartnäckige Siegesverlangen, würde den Unterschied ausmachen. Er dachte, dass er den Sieg verzweifelt nötig hatte, während dies für seinen Rivalen nur ein Spiel der Eitelkeit war, eine weitere Frau, die er besitzen konnte. Torrent hatte mehr kämpferische Erfahrung als er, vielleicht auch mehr Kraft, aber kein größeres Verlangen. Joan war bereit, sein Leben zu opfern, der Offizier nicht.
Auf einem Plateau, das von einem Berghang auf Neapel hinabzeigte, zog man einen zwanzig Schritte großen Kreis und stellte ringsum Fackeln auf. Zeugen des Duells waren die Offiziere der
Santa Eulalia
, außerdem der Pfarrer und der Wundarzt. Vilamarí erinnerte an die Regeln: Wer aus dem Kreis heraustrat oder als Erster verwundet wurde, hatte verloren. Die Waffen waren Degen und Schild – der kleine Schild, den man auf den spanischen Galeeren benutzte.
Man entschied, ob sich das Recht der Liebe, das Joan beanspruchte und das ihm den Besitz Anna Luccas verschaffen würde, sofern er danach ihr Lösegeld bezahlen konnte, gegen das Vorrecht durchsetzen ließe, das Pere Torrent als dem Offizier der Entertruppe anerkanntermaßen zustand. Joan wusste nicht, welcher Preis für Anna festgesetzt war, doch er war sicher, dass er nicht genug hatte, um ihn zu bezahlen. Das würde seine nächste Sorge sein, wenn er das unwahrscheinliche Glück hatte, Torrent zu besiegen.
Duelle unter seinen Offizieren missfielen Vilamarí maßlos, und wenn zwei miteinander verfeindet waren, schickte er sie auf unterschiedliche Schiffe. Trotzdem blieb ihm nichts anderes übrig, als das Recht der Offiziere, ihre Ehre zu verteidigen, anzuerkennen. Niemals hätte er gestattet, dass jemand in Joans Position sich mit einem Offizier duellierte, da aber Torrent der Herausforderer war, blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Bei Sonnenuntergang befahl er darum schlecht gelaunt, dass man Fackeln anzündete, und er gestattete, dass der Pfarrer ein paar Gebete leitete. Dann sagte er: »Fangt an, und Gott gebe, dass Ihr Euch nicht umbringt oder zu Krüppeln werdet.«
Torrent schwang seinen Degen mehrmals im Kreis. Danach griff er Joan an, der ihm
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