Am Horizont die Freiheit
zu sprechen, doch immer wieder stieß er auf die unüberwindliche Barriere ihrer Eltern. Anna ließ sich nicht einmal im Laden blicken.
Er schrieb ihr und bekannte erneut eindringlich seine verzweifelte Liebe. Er bedauerte den Tod Riccardos und erklärte, er sei in einem ehrlichen Kampf gestorben. Doch er bekam keine Antwort.
Nach einigen Tagen kam er zu dem entmutigenden Schluss, dass Anna gewiss Riccardo mehr geliebt habe als ihn und dass ihn nichts mehr in Neapel zurückhalte. Er wollte seinen Kummer hinter sich lassen, um so früh wie möglich ein neues Leben in Rom zu beginnen. Er schrieb in sein Buch: »Ich werde Euch immer lieben, Anna. Euer Lächeln war mein Morgenlicht, und jetzt lebe ich in der Finsternis.«
108
E nde September reiste Joan mit allen seinen Sachen und einem stattlichen Büchervorrat nach Rom ab. Er versuchte, Anna zu vergessen, dachte an sein neues Leben, während er ungeduldig auf Nachrichten aus Genua wartete. Er bat Antonello, dem befreundeten Buchhändler noch einmal zu schreiben, und dieser erklärte ihm erneut, dass Fabrizio Colombo sehr gewissenhaft sei, und wenn er mit der Antwort auf sich warten lasse, so geschehe es nicht aus Vergesslichkeit, sondern weil er noch nachforsche.
Er schloss sich einer Gesellschaft von Kaufleuten an. Sie folgte einem Weg, auf dem man hoffte, nicht in Kämpfe verwickelt zu werden. Die Gruppe war schwer bewaffnet. Sie gelangten nach Rom, ohne von Räubern belästigt zu werden.
Wie bei seiner vorherigen Reise kehrte Joan im Gasthaus »Zum Stier« ein, das ihm Miquel Corella empfohlen hatte. Es lag am Campo de’ Fiori, einer Gegend, wo die mächtige Familie der Orsinis soeben ihre Residenz umgebaut hatte und wo Raffaele Riario, ein Neffe von Papst Sixtus IV ., mit dem Bau eines riesigen Palastes begonnen hatte. Der Marmor des Prachtbaus kam aus dem nahen Theater des Pompejus, denn trotz der Bewunderung, die die Römer für das Altertum hegten, bot seine Hinterlassenschaft eine hervorragende Fundgrube für Baumaterialien. Das antike Rom war ein gewaltiger Steinbruch für das der neuen Zeit, das unaufhörlich weiterwuchs.
Was fünfzig Jahre zuvor als eine Wiese in einer Krümmung des Tiber dagelegen hatte, wo Ruinen aus mehr als tausend Jahren von Gras und Blumen bedeckt wurden, verwandelte sich, seitdem die Päpste aus Avignon nach Rom zurückgekehrt waren, in eines der betriebsamsten Zentren der Stadt. An diesem Ort herrschte lärmende Betriebsamkeit. Hier fanden mehrere Märkte statt, von denen der Pferdemarkt besondere Bedeutung hatte, doch es war auch der Schauplatz von Hinrichtungen oder von Duellen.
Die Stoffplanen der Marktzelte erfüllten den Platz mit Farben. Das gebratene Fleisch und die Exkremente des Viehs gaben ihm einen besonderen Geruch, und die Rufe der ihre Waren anpreisenden Verkäufer vermischten sich mit den Plaudereien, dem Gelächter und den Liedern der ambulanten Musiker. Es gab viele Gasthäuser, und manche, wie das »Zum Stier«, gehörten Vannozza dei Cattanei.
Als Joan zum ersten Mal mit der Frau zusammentraf, widmete sie ihm ein bezauberndes Lächeln.
»Da Ihr von Miquelet Corella kommt, werden wir Euch wie einen Fürsten behandeln«, sagte sie. »Er hat mir erzählt, wie Ihr meinem Sohn Juan in Barcelona geholfen habt, als ihn mehrere Banditen überfallen wollten. Dafür bin ich Euch sehr dankbar.«
»Der Herzog von Gandía ist Euer Sohn?«
Die Frau bestätigte es mit einem lächelnden Kopfnicken. Sie war stolz auf ihren Sprössling. Joan ersparte sich aus Vorsicht die Erklärung, dass die Angreifer keine Banditen gewesen waren und dass Juan Borgia ständig solche Streitigkeiten herausforderte.
Vannozza zeigte ein gesundes, ja sinnliches Aussehen, obwohl sie etwas üppige Formen hatte. Früher war sie gewiss eine Schönheit gewesen, und sie bewahrte ihren Liebreiz mit einem koketten Lächeln und unbedecktem Haar, das sie in einem komplizierten Knoten hochgesteckt hatte. Ihre Kleidung war die einer Dame, und ihre Manieren glichen denen einer Adligen. Sie erkundigte sich, welches Geschäft ihn nach Rom geführt habe.
»Ein Buchhändler! Lesen begeistert mich. Ich werde Euer bester Kunde sein.« Dann setzte sie hinzu: »Ich habe ein paar Häuser im Viertel Borgo, im Trastevere und hier im Campo de’ Fiori, die Ihr sehen müsst. Eines könnt Ihr benutzen, um Eure Buchhandlung unterzubringen.«
Sie bestätigte ihre Worte, indem sie ihm ein fürstliches Abendessen auftischte, und das trotz des Mangels, unter dem Rom
Weitere Kostenlose Bücher