Am Horizont die Freiheit
wegen der Blockade des Hafens Ostia durch die Franzosen litt. Die Mägde servierten ihm eine Brühe mit Gemüse und Kichererbsen, einen geschmorten Stierbraten – die Spezialität des Hauses – und Süßspeisen aus Honig und Mandeln. Zu allem wurde frisch gebackenes Brot aus Weizen und Gerste, dazu ein guter Wein aus Latium gereicht.
Das Essen verbesserte die Stimmung Joans, der von der langen Reise erschöpft war. Die Zurückweisung Annas schmerzte ihn zutiefst, und alles erinnerte ihn an sie. Doch er sagte sich immer wieder, dass er als Erstes seine Mutter und seine Schwester finden musste.
»Es heißt, Vannozza habe zu Ehren unseres Papstes Alexander VI . ihr Gasthaus ›Zum Stier‹ genannt«, vertraute ihm Miquel Corella an, während sie auf dem Ponte Sisto ritten, einer Brücke, die über den wasserreichen Tiber nach Trastevere führte. Sie suchten nach einem Ort, der für die Buchhandlung geeignet wäre. »Das Wappen der Borgias ist ja ein Stier, den Flammen am Rand umgeben, und wahrhaftig, das beschreibt unseren Papst treffend. Er hat einen kräftigen Körper, ist leidenschaftlich und ungestüm, und er hat eine besondere Anziehungskraft.«
Joan erinnerte sich, dass das Gasthausschild tatsächlich einen prächtigen rötlich braunen Stier, allerdings ohne Flammen, zeigte.
»Vannozza ist eine schöne und sehr liebenswürdige Frau«, bekannte Joan. »In ihrer Jugend war sie gewiss atemberaubend. Ich wusste nicht, dass sie die Mutter Juan Borgias ist.«
Miquel Corella lachte laut.
»Du bist gewiss der Einzige in Rom, der das nicht wusste«, sagte er. »Rodrigo de Borgia und sie blieben beinahe zwanzig Jahre lang ein Liebespaar, als er noch Kardinal war. Ihr Verhältnis endete kurz vor seiner Wahl zum Papst. Sie haben zusammen vier Kinder. Du kennst schon Juan und César, die älteren. Die beiden anderen sind Lucrezia und Jofré.«
Joan dachte an Juan Borgia, diesen angeberischen Burschen, der sich betrank, die Leute beschimpfte und Katzen und Hunde auf Barcelonas Straßen mit seinem Degen aufspießte. Das unterschied sich von der ernsten und maßvollen Haltung, die sein jüngerer Bruder César, der Kardinal von Valencia, zeigte, als er ihm von Miquel vorgestellt wurde.
»Vannozza ist die Tochter eines Grafen, und sie lebt schon in ihrer vierten Ehe«, erzählte Miquel lächelnd weiter. »Trotz ihres Verhältnisses mit dem Papst war sie verheiratet.«
»Aber heißt es nicht, dass Geistliche im Zölibat leben müssen?«, unterbrach ihn Joan boshaft.
»Als Junggesellen, meinst du«, schnitt ihm Miquel kurz das Wort ab. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. »Denn hier in Rom gibt es wenige, die Macht haben und das Zölibat einhalten. Nur die Armen bekommen keine Frau ab.«
Joan erinnerte sich an den Eremiten in der Sankt-Sebastians-Einsiedelei und an Bruder Antoni, den Subprior. Sie hatten Macht ausgeübt und sie aufgegeben, um Gott besser zu dienen, und sie respektierten das Zölibat. Doch er wollte sich auf keinen Streit mit dem Valencianer einlassen. Er brauchte ihn, und er erkannte, dass der andere jede Kritik am Papst als einen Verrat auffassen würde.
Sie setzten ihren Spaziergang durch die labyrinthischen Gassen Trasteveres fort. Dort gab es viele Werkstätten und Läden, und überall herrschte große Geschäftigkeit. Die aus den Häusern aufsteigenden Speisengerüche, das Aussehen und die Sprache der Leute kamen Joan ganz vertraut vor, und kurze Zeit fühlte er sich wie in Barcelona.
»Es sind Konvertiten und Juden, Flüchtlinge aus Spanien«, erklärte Miquel. »Du weißt ja, der Papst beschützt sie.«
»Nun, hier werde ich meine Buchhandlung einrichten«, sagte Joan. »Die meisten meiner Bücher werden zuerst spanische sein.«
Miquel schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »In ganz Rom gibt es Spanier. Und es ist für dich ratsam, nicht bei den Flüchtlingen, sondern bei den Mächtigen zu sein. Hör auf mich, das Gebiet am Campo de’ Fiori erlebt einen Aufschwung. Dort muss sich jemand niederlassen, der zu unseren Leuten gehört.«
Joan fragte sich, was es bedeutete, dass Miquel ihn als einen seiner Leute ansah.
»Wie kommt es, dass es außer den Flüchtlingen so viele Spanier in Rom gibt?«, wollte er wissen, als sie schon zum Campo de’ Fiori zurückgingen.
»Diese Stadt wurde immer von mächtigen Familien beherrscht. Eine besondere Rolle spielen darunter die Colonnas und die Orsinis. Sie besitzen befestigte Häuser in Rom und große Ländereien und
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