Am Horizont die Freiheit
bei der Buchhandlung machte. Er sagte ihr auch, dass er sie mehr denn je liebe und ihr Kind so behandeln wolle, als sei es sein eigenes. Anna antwortete nicht, doch Joan, der zwischen Schmerz und Hoffnung schwankte, schickte ihr beinahe täglich einen Brief. Anfang Oktober endete die strenge Trauerzeit, die sich Anna auferlegt hatte, und er vertraute darauf, dann von ihr Nachricht zu erhalten.
Stattdessen kamen in einem Brief, den Antonello weitergeleitet hatte, die so sehnsüchtig erwarteten Nachrichten von Fabrizio Colombo, dem genuesischen Buchhändler. Der Mann hatte seine Beziehungen in der Banca di San Giorgio spielen lassen und die Bestätigung erhalten, dass alle Unterlagen über die in Bastia getätigten Handelsgeschäfte, einschließlich des Sklavenhandels, sich im Sitz der Bank, einem Gebäude im Hafen von Genua, befanden. Fabrizio tat noch mehr und erreichte, dass man die Bücher der Jahre 1484 und 1485 prüfte. In den Sklavenregistern tauchten keine Katalanen auf. Der Genuese erkundigte sich sogar, ob es möglich sei, dass sich ein Teil der Unterlagen in Bastia befinde, doch das verneinte man ihm gegenüber entschieden. Die Banca di San Giorgio war stolz auf ihre gute Verwaltung, und alle ihre Register befanden sich in Genua. Damit gab sich der hartnäckige Buchhändler nicht zufrieden, sondern ließ Freunde in Bastia nachforschen, um jemanden zu finden, der damals auf dem Sklavenmarkt gearbeitet hatte. Aus jener Zeit war jedoch niemand übrig, manche waren gestorben und andere nach Genua zurückgekehrt.
Das entmutigte Joan. Er war sicher, dass ihm Vilamarí die Wahrheit gesagt hatte, aber von seinen Angehörigen gab es keine Spur. Er hatte nicht nur Anna verloren, sondern nun entschwand auch die Hoffnung, seine Familie jemals wiederzufinden.
»Ich muss alles versuchen, selbst wenn ich keine Hoffnung mehr habe. Ich muss alles Mögliche unternehmen«, notierte er. »Aber Geld ist nur für die Buchhandlung da.« Ängstlich setzte er hinzu: »Ich muss zwischen der Buchhandlung und meiner Familie wählen.«
Doch er wusste ohnehin nicht, wo und wie er sie suchen sollte. Die einzige Möglichkeit war, nach Genua zu fahren und herauszufinden, ob der gewissenhafte Buchhändler irgendetwas übersehen hatte. Das war kaum anzunehmen. Er beschloss, sich auf die Buchhandlung zu konzentrieren und seine Reise so lange aufzuschieben, bis er das nötige Geld dazu hätte.
Einige Tage später stellte ihm Miquel Corella zwei Florentiner vor: die Vettern Giorgio di Stefano und Niccolò dei Machiavelli. Giorgio war fünfundvierzig und Niccolò sechsundzwanzig Jahre alt, drei Jahre älter als Joan. Giorgio war Buchhändler und Drucker. Niccolò hatte in der Verwaltung von Florenz gearbeitet.
»Sie sind Emigranten, die vor dem Regime Savonarolas geflohen sind«, erklärte Miquel.
»Ich habe gehört, dass er ein religiöser Fanatiker ist, der die Republik in Schrecken versetzt«, sagte Joan.
»Richtig«, antwortete Niccolò. »Girolamo Savonarola ist ein Dominikanermönch, ein großer Redner, der das Volk mit der Drohung von Katastrophen und Höllenstrafen einschüchtert.«
»Eine seiner Prophezeiungen lautete, dass die Franzosen Florenz besiegen würden und dass der französische König ein Abgesandter des Himmels sei, um die verkommenen Geistlichen zur Ordnung zu rufen«, erklärte Giorgio weiter. »Er verkündet laut, unser Papst Alexander VI . sei ›der schändlichste der ganzen Geschichte, der die meisten Sünden begangen hat, die Wiedergeburt des leibhaftigen Teufels‹.«
»Über die vorherigen Päpste hat er das Gleiche gesagt«, griff Miquel ein, um seinen Herrn zu verteidigen. »Das ist einer der Gründe, warum wir diese Herren und andere aufnehmen, die sich ihm widersetzen.«
»Als Florenz gefallen war, hat ein von Savonarola geführter Aufruhr die Medicis vertrieben«, sagte Niccolò. »Dann hat er zusammen mit seinen fanatischen Büßern, den ›Weinenden‹, die Herrschaft in Florenz übernommen.«
»Weinende?«, fragte Joan nach.
»Wir nennen sie so, weil sie sich mit Bußgürteln peinigen, sich auspeitschen, durch die Straßen laufen und über die Sünden der Menschheit klagen, und beim Essen und Trinken sind sie völlig genügsam.«
»Sie haben das schöne Florenz in eine wahre Hölle auf Erden verwandelt«, setzte Giorgio hinzu. »Die Polizei der Weinenden verbietet die Feste des Karnevals und verfolgt erbittert alle Arten von Spielen, sowohl die mit Karten als auch mit Würfeln, sogar
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