Am Horizont die Freiheit
Schach. Ungesetzlich sind außerdem alkoholische Getränke, Schönheitsmittel, Spiegel, Parfüms, Einsteckkämme und jede gefällige Frauen- oder Männerkleidung. Man durchsucht die Häuser, und all diese Gegenstände werden beschlagnahmt. Savonarola ordnet an, sie unter Gebeten und Gesängen auf der Piazza della Signoria zu verbrennen, mitten in der Stadt, auf dem ›Scheiterhaufen der Eitelkeiten‹, wie er es nennt.«
»Wenn sie nur Gegenstände verbrennen …«, sagte Joan und dachte dabei an die Inquisition in Spanien.
»Nein. Sie verbrennen nicht nur Gegenstände«, unterbrach ihn Niccolò. »Homosexuelle werden brutal verfolgt und gejagt. Savonarola ist ständig hinter ihnen her, überall sieht er welche. Sie werden verurteilt und gehängt, und man wirft ihre Leichen auf den Scheiterhaufen. Dies ist auch das Schicksal derjenigen, die es wagen, sich dem Mönch entgegenzustellen.«
Joan schüttelte fassungslos den Kopf.
»Aber glaubt nicht, dass sich die Verfolgung auf die Homosexuellen beschränkt«, erzählte Giorgio weiter. »Jedes Buch über sexuelle Themen, sogar Kunstwerke, Gemälde oder Skulpturen, die Akte oder wenig verhüllte Gestalten zeigen, werden als sündhaft verdammt und wandern auf den Scheiterhaufen. Savonarolas Regime fördert das Spitzelunwesen und Denunziationen unter den Bürgern. Du kannst deinem Nachbarn nicht trauen.«
»Das ist ja noch schlimmer als die Inquisition!«, rief Joan entsetzt. »Und was ist mit den Buchhändlern?«
»Nichts, wenn sie sich darauf beschränken, Bücher mit leeren Seiten oder religiöse, von Savonarola genehmigte Schriften zu verkaufen«, sagte Niccolò.
»Und andernfalls?«
»Wird man verfolgt, eingesperrt und sogar hingerichtet«, antwortete Giorgio. »Die Bücher der griechischen und römischen Klassiker werden als heidnisch angesehen und wandern auf den Scheiterhaufen. Das gleiche Schicksal erleiden die Werke hervorragender Schriftsteller wie zum Beispiel Petrarca, Boccaccio und Dante.«
»Was?«, rief Joan halb empört und halb ungläubig. »Ich kann verstehen, dass ein solcher Fanatiker Boccaccio verbietet. Aber Dante?«
»Ja, auch Dante Alighieri«, bestätigte der Florentiner. »Die Buchhändler sind verpflichtet, diese Bücher abzuliefern, und man fordert die Bürger auf, freiwillig mit denen, die sie zu Hause haben, auf der Piazza della Signoria zu erscheinen. Dort sollen sie diese auf den ›Scheiterhaufen der Eitelkeiten‹ werfen. Die Leute gehorchen aus Angst, dass ihre Nachbarn sie anzeigen.«
»Und keiner tut etwas?«
»Die Franziskaner wollten ihm entgegentreten, indem sie Liebe und Toleranz predigten, aber sie wurden zum Schweigen gebracht«, erklärte Niccolò. »Wir schlossen uns einer Gruppe an, die ›die Empörten‹ genannt wurde und die sich energisch gegen die Ausschreitungen dieser Wahnsinnigen wehrte. Könnt Ihr Euch Florenz unter einem derartigen Joch vorstellen?« Joan schüttelte den Kopf.
»Unser Aufruhr führte zu blutigen Straßenkämpfen«, berichtete Giorgio weiter. »Aber wir wurden von den Weinenden besiegt, und viele unserer Leute starben oder wurden hingerichtet. Wir Übrigen mussten emigrieren, und recht viele von uns sind nach Rom gekommen.«
Die Schilderung der Florentiner beeindruckte Joan tief. Sie erinnerte ihn an den heimlichen Kampf der Corrós für die freie Wahl des Lesestoffes und an ihr tragisches Ende. Als er nachts im Bett lag und die Augen schloss, erblickte er ihre Gesichter und die Flammen des Scheiterhaufens, und er roch das verbrannte Fleisch. Er verstand, dass auch er ein »Empörter« war.
Er unterhielt sich mit Miquel, und der Valencianer sagte ihm, beide Emigranten hätten in Rom nichts, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine würdige Arbeit wie die in der Buchhandlung würde ihre Lage erleichtern. Ein paar Tage später kamen die vier wieder zusammen.
»Giorgio, ich fühle mich als einer der Euren«, sagte Joan zu dem Älteren. »Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr zustimmt, in meiner Buchhandlung mitzuarbeiten. Eure Erfahrung kann uns wertvolle Hilfe leisten.«
»Ich nehme herzlich gern an«, antwortete der Florentiner nach einer kurzen Pause.
»Ich lade auch Euch ein, Niccolò. Don Miquel hat mir von Eurer Bildung und Eurem Geschick erzählt, und ich bin sicher, dass Ihr mir eine große Hilfe sein werdet, selbst wenn Ihr keine Erfahrung als Buchhändler habt.«
»Dafür danke ich Euch sehr«, sagte der junge Mann und verbeugte sich.
Miquel Corella lächelte
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