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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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»Wir finden sie.«
     
     
    Die Stadt La Spezia war von Mauern und vom Castello San Giorgio geschützt, das auf einer Anhöhe zwischen zwei breiten, landwirtschaftlich genutzten Tälern lag. Sie zogen das Boot in den Sand und überließen es der Mannschaft. Sie erkundigten sich bei einer Gruppe von Frauen, die am Strand ausgebreitete Netze flickten, die jedoch nichts von einer María wussten. Joan blickte seine Mutter an und bemerkte die Trauer, die sich in ihrem Gesicht spiegelte. Plötzlich verriet sich große Erschöpfung in ihren Zügen.
    »Sie ist nicht hier«, murmelte sie.
    »Wir finden sie schon«, erklärte Joan nachdrücklich. Doch auch er war entmutigt.
    Er fasste sie am Arm, damit sie sich auf ihn stützte, und zusammen mit Niccolò liefen sie zum Stadttor. Sie fragten die Wächter am Eingang des Mauerbezirks und danach mehrere Handwerker, die einen Laden an der Straße hatten. Keiner konnte ihnen eine Auskunft geben.
    Dass man nichts Neues erfahren konnte, ließ das Schlimmste vorausahnen. La Spezia war die Grenze des Gebiets, das Simone angegeben hatte, und die Leute, die sie fragten, hätten etwas von María wissen müssen, wenn sie in diesem Ort wohnte. Vielleicht hatte ihr erster Käufer sie weitergereicht, und sie befand sich nun an einem entfernten Ort. Oder der Sklavenhändler hatte sie belogen, damit er das Geld behalten konnte. Sie waren am Ende ihrer Suche. Die düstere Miene seiner Mutter sagte ihm, dass sie das Gleiche befürchtete.
    »In den nahen Tälern gibt es Bauernhöfe«, erklärte Joan, um ihr Mut zu machen. »Wir nehmen eine Unterkunft in der Stadt und fahren erst wieder ab, wenn wir uns im ganzen Gebiet umgesehen haben.«
    »In einem Dorf kennt man die Leute, die in der Umgebung leben«, entgegnete Eulalia mit kraftloser Stimme. »Wenn sie in der Gegend wäre, wüssten wir es schon.«
    »Gasthäuser eignen sich gut, um sich nach Neuigkeiten zu erkundigen«, sagte Niccolò.
    »Das stimmt«, bestätigte Joan. »Gehen wir ins Gasthaus und ruhen uns eine Weile aus.«
     
     
    Das Gasthaus war offenbar sehr alt. Drinnen standen vier Tische. Sie setzten sich an einen und warteten auf eine Bedienung.
    »Was wünscht Ihr?«, fragte eine magere, ungefähr fünfundzwanzigjährige Frau, die auftauchte, als sie sie hörte. »Fürs Essen ist es noch zu früh.«
    »Wir wollen wissen: Kennt Ihr …«, begann Joan.
    »María!«, unterbrach ihn Eulalia.
    Die Frau blickte sie erstaunt an und zögerte.
    »Kennt Ihr mich?«
    »Erkennst du uns nicht wieder?«, fragte Eulalia.
    Die Miene des Dienstmädchens wechselte von Verwunderung zu Ungläubigkeit. Ihre Arme sanken am Körper hinab, und sie flüsterte: »Mutter!«
    Eulalia sprang auf und umarmte sie. Damit verhinderte sie, dass ihre Tochter zu Boden sank.
    »Und du bist Joan, nicht wahr?«, wollte María mit noch schwächerer Stimme wissen. Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    Joan konnte mit dieser plötzlichen Schicksalswendung nicht fertig werden. Er beobachtete seine Schwester, um sich zu überzeugen, dass sie es tatsächlich war. Allmählich erkannte Joan ihre Züge wieder, obwohl diese trübselige Frau wenig mit dem frischen und lächelnden Mädchen zu tun hatte, an das er sich erinnerte. Am Ende sagte er sich: Ja, das war María. Er wunderte sich. Er verstand nicht, warum ihnen niemand etwas von ihr erzählt hatte, obwohl sie so nahe war.
    »Ja, das bin ich«, sagte sie schließlich, bevor sie die Umarmung erwiderte.
    Danach blickte sie Niccolò fragend an und runzelte die Stirn.
    »Nein, das ist nicht Gabriel«, kam ihr Joan zuvor. »Unser Bruder lebt in Barcelona, und es geht ihm sehr gut.« Er holte noch einen Schemel zum Tisch, und weil er sah, wie schwach sie war, sagte er: »Setz dich.«
    »Ich darf nicht«, entgegnete sie.
    »Warum nicht?«
    »Weil ich Sklavin bin und mich vor den Kunden nicht hinsetzen darf.«
    »Sklavin nach elf Jahren!«, rief Joan empört und nötigte sie, sich zu setzen. »Wie ungerecht!«
    In diesem Augenblick erschien an einer Tür, die wahrscheinlich zur Küche führte, ein dicker Mann und rief: »Julia! Was tust du da und sitzt herum?« Drohend kam er näher und hob die Hand. »Faulenzerin, dumme Gans!«
    María krümmte sich auf dem Schemel zusammen und wartete darauf, einen Schlag abzubekommen. Joan sah, wie sich das Gesicht seiner Mutter verzerrte, als sie den Mann und ihre Tochter anblickte. Der Gastwirt schlug nicht zu. Er ließ die Hand in der Luft innehalten, während er seine Augen

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