Am Horizont die Freiheit
Mädchen verabschiedete ihn mit einer leichten Kopfbewegung, was ihm wie der Gipfel der Anmut vorkam.
»Das ist mehr als genug, um euch beide einzukleiden und Wäsche zum Wechseln zu kaufen«, erklärte der Kaufmann zufrieden.
Sie kamen durch das Tor in der zweiten Mauer und betraten die Rambla durch das Portal de la Bocaría. Sie liefen über den Fleischmarkt, wo die Verkäufer schrien und die Käufer feilschten. Es gab vor allem starkriechendes Ziegenfleisch. Der Name des Marktes kam von
boc
, was »Ziegenbock« bedeutete. Im hinteren Teil war der Geruch noch aufdringlicher, und die Ware sah schlechter aus.
»Hier verkauft man Fleisch zweiter Güte«, erklärte Bartomeu.
»Fleisch zweiter Güte?«, fragte Joan erstaunt.
»Ja. Es stammt von Tieren, die nicht vom Menschen geschlachtet wurden. Man nimmt an, dass es von Hunden oder Wölfen gerissene Beutetiere sind. Aber das soll einer wissen.«
Joan merkte, wie ihm Gabriel die Hand drückte und dabei rief: »Pfui! Wie ekelhaft!«
»Aber wer kann so etwas kaufen?«, wunderte sich Joan.
»Denkt daran: Man hungert in dieser Stadt. Die meisten Städter würden gern aus dem Topf eines Klosters wie ihr essen.«
Joan wusste, was es hieß, hungrig schlafen zu gehen, und er lief schweigend weiter, während er im Innern ein Dankgebet von sich gab.
Als sie schon in El Raval waren, näherten sie sich der Porta de Sant Antoni, die durch die dritte Mauer führte. Dort befand sich der Markt für gebrauchte Kleidung. Viele Kleidungsstücke hingen an Stangen, und die Tische waren mit aller möglichen Wäsche bedeckt.
»Woher kommt das alles?«, erkundigte sich Gabriel.
»Frag lieber nicht danach«, antwortete Bartomeu lachend. »Die Sachen in deiner Größe und in der deines Bruders sind möglicherweise von Jungen, die größer geworden sind. Aber die der älteren Leute haben meistens denen gehört, die sie nicht mehr benutzen können.«
»Tote?«, fuhr Joan beunruhigt auf.
»Nun ja. Wenn ihr ins Kloster kommt, müsst ihr sie auf jeden Fall waschen.«
Als Bartomeu die Gesichter der beiden sah, setzte er hinzu: »Das ist ganz normal. Nur die Reichen besitzen neue Wäsche, und selbst sie verwenden die teuren Stoffe von gut erhaltenen Mänteln und Kleidern ihrer Verstorbenen, um Sachen in einer anderen Größe daraus zu nähen.«
»Meine Mutter hat die Wäsche meines Vaters genommen, um Sachen für mich zu nähen, und sie hat meine Wäsche für Gabriel umgearbeitet«, setzte Joan hinzu, um seinen Bruder zu beruhigen.
»Wir werden gute Waren zu erstaunlichen Preisen finden«, erklärte Bartomeu weiter. »Es gibt viele Angebote. Wegen der Kriege, des Hungers und der Pestilenzen hat es in dieser Stadt während der letzten zwanzig Jahre mehr Begräbnisse als Geburten gegeben. Bei dem Elend, das wir erleiden, wird keine Wäsche weggeworfen.«
Er ging zu einem Verkaufsstand. Dort hing ein schönes Wams, das für Joan geeignet schien. Er klopfte ihm leicht auf die Schulter: »Du wirst schon sehen, was für großartige Sachen wir finden. Du wirst ganz prächtig aussehen.« Dann setzte er hinzu: »Mach dir keine Sorgen, wir waschen sie gründlich, wozu wir ein Vaterunser für die Seele desjenigen beten, der sie vorher getragen hat.«
Als sie den Markt verließen, waren sie mit ihren Käufen zufrieden: für jeden zwei Wämser und Beinkleider, Gürtel, Schuhe, warme Unterwäsche und Kapuzenmäntel für den Winter, der schon nahe bevorstand. Ein Wams und ein Paar Beinkleider brauchten keine Änderungen und sahen sauber aus. Deshalb beschloss Joan, sie sofort anzuziehen, um sich als Städter zu fühlen.
Joan erinnerte sich, dass ihm Bartomeu von Konvertiten erzählt hatte, und er schilderte ihm die Ereignisse des Morgens, als die Menschenmenge laut gegen die neue Inquisition protestiert hatte.
»Warum achtet der König nicht unsere Privilegien und Rechte?«, fragte Joan. »Er sollte doch gerecht sein, nicht wahr?«
»Weil Ferdinand König von Aragonien, Valencia, Katalonien, Mallorca, Sardinien und Sizilien ist«, antwortete der Kaufmann leidenschaftlich. »Und jedes Territorium hat andere Privilegien und Rechte, die es erbittert verteidigt. Darum will er eine Inquisition durchsetzen, die er nach Belieben lenkt, denn unter dem Vorwand, dass Gott über allem steht, ist es ihm möglich, sich über die Privilegien hinwegzusetzen. Außerdem beschlagnahmen die Inquisitoren alles Eigentum der unglücklichen Konvertiten, und mehr als die Hälfte ihres Vermögens fließt in die
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