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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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Schlimmes geschehen könnte, dass sie vor dem Meer in ihrem Haus geschützt wären, fern von den Wellen und durch den starken Arm ihres Vaters, der die Azcona so gut führte, vor allen übrigen Gefahren bewahrt. Gabriel weinte oft.
    Joan versuchte, ihn so gut zu trösten, wie er konnte, doch auch seine Augen füllten sich mit Tränen. Gabriel hatte sogar seine Begeisterung für Glocken verloren. Mehrere Mönche bemühten sich, ihn aufzumuntern, als sie ihn so traurig sahen, vor allem Jaume, der immer eine Süßigkeit für ihn aufhob.
    Sie erinnerten sich an das vorherige Weihnachten bei ihnen zu Hause. Und an den kleinen Altar mit einem Bild des Christkindes in einer Ecke, nahe beim Herd, und an dieses wunderbare Holzscheit, das sie »Tió« nannten und das sie am Weihnachtsabend mit Süßigkeiten versorgte, während sie Weihnachtslieder sangen und mit einem Stock daraufschlugen. Als Gabriel erfuhr, dass es diesmal keinen »Tió« geben würde, war er noch tiefer enttäuscht.
    »Sag den Mönchen, sie sollen den Tió herbringen. Wir schlagen mit Stöcken darauf und singen, und so bringt er uns Süßigkeiten«, drängte er Joan und zog ihn am Wams. »Gib acht auf die großen Holzscheite, die sie neben dem Feuer haben. Sie sind größer als die zu Hause. Sag es ihnen, denn sie wissen es nicht.«
    Joan ahnte, dass die Mönche nicht so dumm waren, und wenn es sich um Wunder handelte, wüssten sie mehr als jeder andere von der Angelegenheit. Doch er sträubte sich, auf den zauberischen Glanz des Weihnachtsfestes zu verzichten, und als er mit dem Novizen allein war, fragte er ihn vorsichtig danach. Pere lachte ihn aus.
    »In den Klöstern bringt der Tió keine Süßigkeiten«, sagte Joan später zu Gabriel. »Er steckt Almosen in den Opferstock der Kirche. Damit können die Mönche den Armen zu essen geben.«
    »Den Armen!«, antwortete Gabriel nachdenklich. »Wenn wir keinen Hunger haben, sind wir keine Armen mehr?«
    »Nein, wir haben keinen Hunger und sind keine Armen mehr. Wir müssen beten und dem Herrn danken.«
    Gabriel stimmte mit einem Kopfnicken zu, aber Joan las die Enttäuschung in seinem Gesicht.
     
     
    Immer, wenn Joan durch die Calle Argentería kam, verrenkte er sich den Hals, um zu sehen, ob die Tochter des Juweliers im Laden war. Wenn er sie entdeckte, warf er ihr Blicke zu und hoffte, dass sie ihn wiedererkannte und dass sie ihn wie bei ihrer ersten Begegnung anlächelte. Er kleidete sich jetzt elegant, und er wollte, dass sie ihn sah. Aber sie blickte nicht einmal auf. Dabei war es nicht so, wie er bald begriff, dass sie ihn nicht sah, sondern dass sie ihn nicht sehen wollte. Enttäuscht mied er von da an diese Straße. Ihre Geringschätzung tat ihm viel mehr weh, als er sich hätte vorstellen können.
     
     
    Die Mönche schmückten den Hauptaltar mit einem Bildnis des Christkindes, mit Pinienzweigen und vier Kerzen, zwei für die heilige Anna, die Schutzpatronin, und zwei für das neugeborene Kind. Sie stellten zwei weitere große Kerzen auf den Altar der heiligen Eulalia und zwei auf den des heiligen Augustinus. Die Kerzen brannten Tag und Nacht. Das war ein ungeheurer Aufwand, aber der Rang des Festes wurde an der Menge des verbrannten Wachses gemessen, und Weihnachten war eines der bedeutendsten Feste.
    Die None wurde an der Tafel gefeiert. An diesem Tag hatte Prior Gualbes den Vorsitz beim Mahl inne, und es herrschte eine entspannte Stimmung. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Prior und seiner Gemeinschaft schienen vergessen, und er und der Subprior lächelten einander sogar zu.
    Ein ungewöhnlich lebhaftes Feuer wärmte das Refektorium, das sonst im Winter immer kalt war. Die angenehme Wärme, die Speisen und Getränke trugen dazu bei, die Gemüter anzuregen. Es gab eine Suppe und danach gefülltes, im Tontopf geschmortes Huhn mit Gemüse. Darauf folgte der Fleisch- und Gemüseeintopf, und das Mahl endete mit geröstetem Käse und Waffelröllchen, die »Neulas« hießen. Dazu trank man reichlich Hypokras, eine Mischung aus Wein, Honig und Gewürzen. Die Mahlzeit dauerte viel länger als gewöhnlich, und die Jungen und der Novize erhielten die Erlaubnis, sich in ihre Zellen zurückzuziehen. Wegen des übermäßigen Essens und des Hypokras’ schliefen sie sofort ein.
    Joan wachte nach einer Weile auf. Gabriel wimmerte im Schlaf, und das erinnerte ihn an die Nacht, als sie die Zelle mit dem Novizen teilten und dieser von Angst gepackt wurde. Er hatte eine sonderbare

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