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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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Vorahnung: Die Trübsal seines Bruders erklärte sich nicht nur aus den Erinnerungen an die verlorene Familie. Ihn ängstigte noch etwas anderes. Etwas hatte sein Lächeln ausgelöscht und ließ ihn sogar die Begeisterung vergessen, die er beim Klang der Glocken empfunden hatte. Als er Gabriel danach fragte, wollte dieser nichts sagen, doch Joan schwor, dass er es herausfinden würde. Koste es, was es wolle, und selbst wenn es das Letzte sein sollte, was er tat. Der Kleine war das Einzige, was von seiner Familie übrig blieb. Er hatte seinen Eltern versprochen, sich um ihn zu kümmern.
     
     
    Felip nannte ihn immer noch »
remensa
«. Seit seiner Teilnahme am Überfall auf die Juden behandelte er ihn allerdings rücksichtsvoller. Es war keine Achtung, doch es war schon viel, weil es von ihm kam.
    »Der große Bursche braucht immer jemanden, den er drangsalieren kann«, sagte Lluís.
    Eines Tages teilte ihm Felip mit, ihm zu erlauben, mit seiner Bande an einem Kampf teilzunehmen. Jede Straßengruppe gehörte einer Bande an, die sich anderen Banden in der Nachbarschaft entgegenstellte. Felips Trupp kontrollierte die Umgebung der Calle Especiers von der Kathedrale bis zur Sant-Just-Kirche, und er führte Krieg mit dem in der Calle Argentería und dem in der Calle Regomir. Während der Arbeitswoche schickten sie sich herausfordernde Botschaften und provozierten sich auch mit Worten, um beim Warten auf den Sonntag die Stimmung anzuheizen.
    Das Schlachtfeld befand sich außerhalb der Mauern, die die Stadt im Nordwesten begrenzten, nicht weit vom Meer und nahe El Canyet. Dort gab es freies Gelände, auf dem die Jungen sich bekämpften.
    Jede Bande trug eine Fahne mit ihren Farben. Die der Especiers war blau. Die Jungen hatten sich mit einem in derselben Farbe bemalten Holzschild und einem Stock gerüstet, der nach Art eines Schwerts im Gürtel steckte. Doch die Hauptwaffe waren Steine, und die Taktik war recht einfach: Man musste die Feinde treffen und verhindern, selbst getroffen zu werden. Joan war nervös. Alle übrigen Jungen waren größer als er, und Felip musste ihn wohl sehr schätzen, dass er ihn trotz seiner geringen Größe in die Gruppe aufgenommen hatte. Oder vielleicht fehlte es ihm an Mitkämpfern. Sie verließen die Stadt durch das Portal Nou und vermieden es, feindliches Territorium zu durchqueren. Sie marschierten wie ein kleines Heer, mit ihrer Fahne an der Spitze, die Schilde vor der Brust. Joan verspürte wieder das süße Gefühl der Macht, das er ein paar Wochen zuvor empfunden hatte.
    Als sie auf dem Feld eintrafen, rammten sie ihre Fahne in den Boden und warteten darauf, dass sich die Feinde zeigten. Kurz darauf kamen die aus der Calle Argentería, die sich in der vereinbarten Entfernung aufstellten. Sobald sie kampfbereit waren, schwenkten sie ihre Fahne. Sie war gelb.
    »Seid ihr bereit, ihr Esel?«, rief ihnen Felip zu.
    »Wir müssen Steine sammeln.«
    Sie ließen sich Zeit, damit jeder Kämpfer einen Haufen der dort verstreuten Steine zusammentrug. Als sie zufrieden waren, schrie der Anführer der Argentería: »Wir sind bereit, euch zu zermalmen, ihr beschissenen Schweine.«
    »Also los!«, befahl Felip.
    Joan warf den Stein, den er in der Hand hatte. Er sah, wie eine Menge feindlicher Steine auf sie herabprasselte, und ihm blieb gerade noch Zeit, sich zu decken, bevor er merkte, wie sie auf seinen Schild prallten. Als er den nächsten Stein ergriff, wurde ihm mulmig. Ein derartiger Schlag an den Kopf konnte tödlich sein. Trotzdem wollte er Felip beweisen, dass er mutig war, und einen Augenblick lang gab er seine Deckung auf, um hinzusehen und seinen Stein zu werfen. Diesmal traf er genauer, und als er über seinen Schild spähte, erkannte er, dass er sein Ziel erreicht hatte. Doch der andere deckte sich rechtzeitig.
    »Geht weiter auseinander«, sagte Felip. »Dann machen wir ihnen das Zielen schwerer.«
    Joan rannte zu einer Außenseite. Dort müsste er nicht auf so viele Steine gleichzeitig achten. Bald verwandelte sich die Schlacht in Zweikämpfe. Dass er an jedem Nachmittag geübt hatte, die Azcona seines Vaters gegen die am Baum hängende Zielscheibe zu werfen, hatte seinen Arm gestärkt und seine Augen geschärft. Beinahe alle Geschosse Joans erreichten den Schild oder die Beine seines Gegners, der nicht allzu oft traf. Der andere Junge war viel größer und warf auch große Steine, die sehr schwungvoll losflogen, doch Joan machte sich keine Sorgen und deckte sich nicht, denn die

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