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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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an der Stadtmauer trennte, und am nächsten Tag wollte er sie sich von der Straße aus zurückholen und wieder in den Buchladen bringen. Er wusste, welches Wagnis so etwas bedeutete. Doch er war zu allem bereit.

25
    N ach dem Abendessen zogen sich die Mönche zurück, um zu schlafen, und die Kinder taten das Gleiche. Joan wartete, bis sein Bruder gleichmäßig tief atmete, und lautlos, in seinen Mantel gehüllt, lief er auf den Hof hinaus. Er hielt eine Öllampe, deren Flamme schwach brannte. Am Himmel waren Wolken, und ein kalter Wind machte diese Winternacht ungemütlich. Joan wickelte sich fest in seinen Mantel. Er begann zu zittern, ob wegen der Angst oder der Kälte, wusste er nicht. Er trat in den Kreuzgang, und dabei ließ er sich vom spärlichen Licht der wenigen Sterne leiten, die zwischen den Wolken hindurchschimmerten. Der Junge wusste genau, wo die Tür der Zelle Bruder Nicolaus war. Er hoffte, dass er ihn im Schlaf überraschen konnte, und falls der Mönch wach war, würde er behaupten, dass er ihn besuchen wollte. Ganz sicher würde ihn der andere willkommen heißen.
    Die Zellen der Mönche hatten keine Riegel, und Joan stieß sanft gegen die Tür von Bruder Nicolau. Er hielt die Lampe in der linken Hand und die Waffe in der rechten. Aber die Tür bewegte sich nicht. Der Junge biss sich auf die Lippen. Er musste sich stärker anstrengen. Die Türangeln waren gewiss verrostet und würden quietschen. Als er es wieder probierte, konnte er die Tür zwei Fingerbreit öffnen. Er erschrak über das Geräusch. Trotzdem war es weniger laut, als er erwartet hatte, und es wurde vom Pfeifen des Windes übertönt.
    Joan blieb völlig reglos stehen, während er lauschte. Etwas in der Zelle rührte sich. Der Mönch war wach! In bestimmten Abständen hörte man eine Stimme und einen eigenartigen Ton. Ob er nicht allein war? Er dachte, wenn der Mönch beschäftigt war, könnte er die Tür etwas weiter öffnen, ohne entdeckt zu werden. Und das tat er ganz behutsam, bis er in das Innere der Zelle blicken konnte.
    »Mein Gott! Allmächtiger!«, stieß der Mönch halblaut hervor. »Erlöse mich von der Versuchung!«
    Joan hörte das Knallen einer Peitsche mit mehreren Enden und sah, wie der Mann vor einem kleinen Kruzifix kniete und dass sein Rücken mit Blut beschmiert war. Eine Öllampe beleuchtete die Züchtigung, die er sich auferlegte.
    »Herr, halte mich von den Kindern fern!«
    Joan zuckte zusammen, als er den gedämpften Klang der Metallspitzen hörte, die die Rückenhaut zerfetzten. Die Zelle war klein, und der Junge wich von der Tür zurück, weil er Angst hatte, dass ihn das Blut bespritzte. Als er wieder hinschaute, hatte der Mann die Peitsche fallen lassen und stützte sich mit Knien und Ellbogen auf den Boden. Er schwankte. Er war vollständig nackt, und sein Körper zitterte.
    »Warum hast du mich so geschaffen?«, stieß er schluchzend hervor. »Erlöse mich aus Barmherzigkeit von dieser Pein!«
    Joan konnte nicht glauben, dass dies derselbe Mann war, der ihn so lüstern angelächelt hatte. Auf einmal packte der Mönch wütend die Geißel mit der rechten Hand und schlug sich mit letzter Kraft auf die Geschlechtsteile. Unverzüglich brach er mit einem Stöhnen zusammen und blieb ohnmächtig liegen. Joan spürte diesen Schlag beinahe so, als hätte er ihn selbst getroffen. Er war entsetzt, umfasste jedoch weiterhin kräftig das kalte Eisen in seiner Hand und sagte sich, dass dies der richtige Moment sei, um den Mönch zu töten. Schon beugte er sich mit der Waffe über den reglosen Körper, als er innehielt.
    Ihm wurde klar, dass er nicht imstande sein würde, den Mann zu töten, selbst wenn er die ganze Nacht dort bliebe. Er hasste den Mann nicht mehr. Überstürzt rannte er zu seiner Zelle zurück und legte sich leise nieder. Er schlief erst spät ein, und es kostete ihn Mühe, zu beten. Er verstand nicht, warum der Herrgott den Tod seines Vaters zugelassen hatte. Und auch nicht, warum er die Zerstörung seiner Familie erlaubt hatte. Genauso wenig, warum er Bruder Nicolau in dieser Art geschaffen hatte. Seine Wut wandte sich gegen den Himmel.
     
     
    Das Heer sammelte sich am Nordteil der Rambla, auf der sogenannten Plaza dels Bergants. Die Glocken läuteten unaufhörlich. Überall bewegten sich Fußsoldaten und Reiter hin und her, die sich von Freunden und Familienangehörigen begleiten ließen. Joan hielt sich eng an Lluís, um sich durch die Menge zu drängen und die Kämpfer zu sehen. Der älteste

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