Am Horizont die Freiheit
rennen, wie es sonst alle taten. Als er das Wegende erreichte, erwarteten ihn seine Gefährten in einem Versteck. Die Hexe hatte nicht einmal die Tür aufgemacht.
Dies bewirkte, dass Felip ihn fortan respektvoll behandelte, und Joan vertraute ihm nun so sehr, dass er ihm eine Woche später von dem Problem mit Bruder Nicolau erzählte. Felip hörte ihm aufmerksam zu und versprach, nicht zuzulassen, dass der Bruder eines seiner Gefährten durch die Schuld eines verkommenen Kerls zu leiden habe. Man müsse die Ratte aus ihrem Loch treiben, und hierfür brauche man einen Köder.
Dieser Köder sollte ein Bandenmitglied sein: ein Junge, der nur wenig älter als Joan war und engelhafte Gesichtszüge hatte. Er besuchte die Sonntagsmesse in Santa Anna und starrte Bruder Nicolau manchmal dreist, dann wieder schüchtern an. Dieser bemerkte das Interesse, das er bei dem Jungen weckte, doch er blickte ihn lediglich an und lächelte ihm zu. Felip befand sich in angemessenem Abstand und verpasste keine Einzelheit. Von der dritten Messe an verlor er allmählich die Geduld, da der Mönch untätig blieb. Darum ging der Junge mit dem Engelsgesicht nach dem nächsten Gottesdienstes zu dem Mönch und bat ihn, seine Beichte zu hören. Dieser starrte ihn überrascht an, schließlich war er kein Beichtvater. Doch der Junge sagte, er warte auf ihn in der Gasse, die von der Plaza de Santa Anna zur Mauer hinter der Kirche führe.
Die Gasse krümmte sich und wechselte viermal die Richtung, weshalb man an ihrem Anfang nicht sehen konnte, was sich dort verbarg. An einer Seite folgte sie der Umfassungsmauer des Klosters, und an der anderen befanden sich Ställe und zwei unbewohnte Häuser. Sie endete am Rundenweg der Mauer, einem wenig benutzten Durchgang, der militärische Bedeutung hatte. Die perfekte Falle. Und der Mönch tappte hinein. Er fand nicht den Engel, wohl aber den Teufel. Als Bruder Nicolau mehrere Jungen erblickte, die sich das Gesicht bedeckt hatten und ihm den Weg versperrten, wurde ihm klar, was nun geschehen würde. Er versuchte gar nicht erst zu entkommen, drehte sich lediglich um und stellte fest, dass hinter ihm noch mehr aufgetaucht waren. Er sagte nichts, bedeckte den Kopf mit der Kapuze der Kutte, kniete nieder, krümmte sich zusammen und begann zu beten. Kurz darauf schlug ihm Felip mit einem ersten Fußtritt die Zähne ein. Zunächst hörte man nur ein Keuchen, dann jammerte der Mönch: »Heilige Jungfrau Maria! Heilige Anna! Habt Erbarmen!« Das hielt die Fußtritte nicht auf.
»Damit du es lernst, keine Kinder zu belästigen!«, betonte Felip. Und er trat ihn weiter.
»Lass ihn endlich in Ruhe«, sagte Joan nach einer Weile, wobei er ihn am Arm packte. »Wir bringen ihn noch um!«
Aber Felip schüttelte ihn ab, nahm einen handgroßen Stein und schlug wütend auf den am Boden liegenden Körper ein. Die Klagerufe wurden schwächer.
»Genug!«, flehte Joan. »Lass ihn in Ruhe.« Er wollte ihn zurückhalten, doch Felip stieß ihn weg. Joan sah die Übrigen an. Sie hatten aufgehört, den Mönch zu schlagen, und sahen schweigend zu, wie der große Bursche seine Wut an ihm ausließ.
»Helft mir. Wir müssen ihn aufhalten. Er bringt ihn um!«
Trotzdem rührte sich keiner. Es war, als wüssten alle, was geschehen würde, und beobachteten erstarrt, halb sensationslüstern und halb entsetzt, die Szene. Joan machte einen letzten Versuch, aber Felip bedrohte ihn mit dem Stein, und die Übrigen hielten ihn zurück, während ihr Anführer weiter auf das reglose und stumme Bündel einschlug.
Dann ließ Felip den Stein los. Er hatte eine blutbefleckte Hand und zeigte sie jedem einzelnen Jungen. Als er zu Joan kam, versetzte er ihm damit eine derbe Ohrfeige, die den Jungen an die Klostermauer schleuderte.
»Nie wieder. Versuche
nie wieder
, mich zurückzuhalten«, sagte er. »Du musst mir dankbar sein. Das habe ich für dich getan. Dein Bruder hat keine Probleme mehr, und du bist mir einen Gefallen schuldig. Wenn ein Mann etwas anfängt, muss er es zu Ende bringen. Lerne das. Aber natürlich, du,
remensa
, du bist ja bloß ein Kind.«
Joan lief zum Brunnen, um sich das Blut aus dem Gesicht zu waschen. Doch das Wasser beruhigte seinen Geist nicht und löschte seine Schuld nicht aus. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er den Mönch umbringen wollte, aber daran zu denken war etwas ganz anderes, als es zu tun. Er hatte nur gewünscht, dass Bruder Nicolau eine Lektion erhielt und seinen Bruder in Ruhe ließ. Das hier wollte er
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