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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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erwischt. Aber du kennst die Antwort ebenso gut wie ich. Du darfst nicht lesen lernen, weil du versprochen hast, es nicht zu tun. Streng dich bei deiner Arbeit an, bessere dich als Abschreiber und als Mensch, bete zum Herrgott, während du Buchstaben zeichnest. Und verliere nicht die Geduld, denn es wird schon die Zeit kommen, in der du lesen kannst.«

30
    D a Bruder Nicolau nun ein Krüppel war, veränderte sich das Leben im Kloster. Bruder Jaume, der schon die Küche beaufsichtigte, übernahm außerdem die Verantwortung für den Garten. Er sagte, wenn er dem Koch und dem Gärtner Anweisungen gebe, bete er auch, und dem Herrn gefalle die Arbeit. Die übrigen Mönche war zwar anderer Meinung, aber es gab keinen Streit, weil sich keiner um diese Aufgaben kümmern wollte.
    Bruder Nicolau lernte nur sehr mühsam, wieder zu laufen, und es strengte ihn an, wenn er reden oder nachdenken musste. Allerdings war er in der Lage, die Gebete in der Kirche nachzusprechen, und er nahm an allen Gottesdiensten teil. Der Novize oder Gabriel sorgten für ihn und begleiteten ihn.
    »Danke, mein Sohn.« Der Mönch blickte sie mit einem sanften Lächeln an.
    »Der arme Mann«, bemitleidete ihn Gabriel. »Sieh nur, wie sie ihn zugerichtet haben.«
    »Aber er war nicht gut zu dir«, sagte ihm Joan eines Tages.
    Der kleinere Bruder zuckte die Achseln, bevor er antwortete: »Jetzt ist er ein anderer Mensch. Er braucht Hilfe.«
    Joan wunderte sich über die Fürsorge, mit der sein Bruder den Mann behandelte. Morgens schüttete er dessen Nachtgeschirr aus und sprach mit ihm, wenn er ihn zur Kirche begleitete oder ihm am Tisch den Teller und das Brot hinschob.
    Joan wurde klar, wie unterschiedlich sie beide waren. Gabriel war nicht nachtragend, Joan aber bewahrte in seinem Herzen einen großen Zorn. Er erinnerte sich an jenen Menschen, an den Einäugigen, der ihren Vater umgebracht hatte. Er hatte immer noch klar vor Augen, wie der Pirat seine Mutter schlug, und er ballte die Fäuste, weil er sich nach Rache und Blut sehnte. Er war voller Hass, und weil er nicht wusste, woher die Piraten kamen, war ihm auch nicht klar, wogegen er seinen Groll richten konnte.
    Gabriel erzählte immer noch, dass er Soldat werden wolle und dass sie gemeinsam ausziehen würden, um Mutter und Schwester zu befreien, so könnten sie mit ihnen und einem maurischen Schatz heimkehren. Doch Joan wusste, dass dies nie geschehen würde. Sein Bruder wollte im Unterschied zu ihm niemanden töten. Gabriel war ein besserer Mensch. Er war Gott näher.
    Darum glaubte Joan, dass er niemals ein guter Kopist wie Abdalá sein würde. Er bezweifelte, dass er sich einmal ganz von Wut und Hass befreien könnte, und er fürchtete, dass seine Buchstaben den Ingrimm seines Herzens verrieten, ebenso wie man einen Hinkenden an seinem Gang erkennt.
    Dennoch verbesserte sich Joans Schrift täglich, und der Alte brachte ihm neue Kunstgriffe bei. Die Kopien wurden mit gotischen Buchstaben angefertigt, doch der Maure erklärte ihm, dass sich die italienische Schriftart, die man vor kurzem in Venedig erfunden habe, in Zukunft durchsetzen werde. Da die Buchstaben nahe beieinanderstanden, konnte man die Wörter, die von Zwischenräumen getrennt waren, problemlos erkennen, und der Gebrauch von Groß- und Kleinbuchstaben ließ die Sätze besser verstehen. So fiel das Lesen weitaus leichter. Abdalá brachte ihm auch diese Art der Kalligraphie bei.
    Joan wollte weiterhin Buchhändler werden, und er wusste, dass der Verkauf geschriebener Bücher, ob sie nun gedruckt oder kopiert waren, wenig verbreitet war und dass sich das Geschäft durch leere Bücher und Schreibmaterial über Wasser hielt. Wenige Buchhandlungen besaßen eine Druckerei und beinahe keine ein eigenes
Scriptorium
. Stattdessen verfügten alle über eine Buchbinderwerkstatt. Er musste das Handwerk erlernen, und er erhielt die Erlaubnis des Herrn, zeitweise in der Werkstatt zu arbeiten.
    Um den Rang eines Buchbindermeisters zu erhalten, musste man zunächst einer aus Meistern bestehenden Kommission den Entwurf eines sorgfältig gestalteten Buches vorlegen. Diese Meister hatten das Recht, Änderungen vorzunehmen. Erst nachdem der Entwurf gutgeheißen war, durfte ihn der Lehrling verwirklichen. Das Ergebnis musste die Kommission durch seine Qualität beeindrucken, und wenn es einstimmig angenommen wurde, erhielt der Lehrling den Meistertitel.
    Das Werk, das es erlaubte, die strenge Prüfung zu bestehen, hieß »Meisterstück«. Der Umgang

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