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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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in Llafranc und der tragischen Zerstörung seiner Familie. Anna verstand nun endlich, woher jener sonderbare Schatten in seinem Blick kam, der sie bei ihrer ersten Begegnung so sehr beunruhigt hatte. Joan erzählte, er werde ein großer Buchhändler werden, obwohl dies ein schwer zu verwirklichender Traum war. Sie lächelte begeistert und erzählte, wie gut ihr das Lesen gefiel.
    Joan starrte sie erschrocken an. Anna konnte lesen und er nicht! Auf keinen Fall durfte sie davon erfahren. Sie würde nicht verstehen, wie er, obwohl er nicht lesen konnte, Buchhändler werden wollte.
    Diese Sache quälte ihn übermächtig, als sie ihm ein paar Tage später am Brunnen heimlich einen Zettel gab. Nachdem sie den Krug gefüllt hatte, lief sie schnell nach Hause, ohne etwas zu sagen oder sich umzudrehen. Joan verstand natürlich nicht, was auf dem Zettel stand. Er fragte sich, ob es etwas Dringendes war oder ob sie ihn an einen anderen Ort bestellte. Er konnte nur eine sorgfältige gotische Schönschrift erkennen, wie sie jemanden auszeichnete, der eine vorzügliche Bildung genossen hatte.
    Begierig wartete er auf den Augenblick, in dem ihm der Novize den Brief vorlesen würde. Zum Glück teilte Anna ihm lediglich mit, dass ihr Vater eine dringende Arbeit habe, bei der sie ihm helfen müsse und dass in den nächsten Tagen die Magd an ihrer Stelle zum Brunnen gehen werde.
    Der Wunsch, lesen zu lernen, wurde für Joan zu einem quälenden Verlangen. Joan merkte sich geschriebene Wörter, und wenn er ins Kloster kam, sagte ihm der Novize, wie sie klangen. Danach schrieb er sie in sein kleines Buch, das er sein Lehrlingsbuch nannte. Bald würde er lesen können. Jeden Tag machte er dabei Fortschritte – trotz seines Versprechens dem Buchhändler gegenüber. Anna durfte nie von seiner Unwissenheit erfahren.
    Damals ahnte er nicht, welch tragische Folgen sein Ungehorsam haben würde.

Zweiter Teil

32
    Barcelona, 1487
    A m Sonntag, dem 5 . Juli 1487 , hielt die Inquisition ihren triumphalen Einzug in Barcelona. Bruder Espina, der neue Inquisitor, den Tomás de Torquemada ernannt hatte, ritt auf einem Maultier und reckte stolz die Kinnspitze hoch. Ihn begleiteten Enrique von Aragonien, den man unter dem Beinamen »Infant Fortuna« kannte und der ein Vetter des Königs und königlicher Statthalter war, sowie die Bischöfe von Urgell, Tortosa und Girona. Der Zug erschien an der Porta de Sant Sever und wirkte sehr prunkvoll. Vor ihnen kamen der königliche Amtsdiener mit seinem Gerichtsstab, Trompeten, Pauken, ein großes Kreuz und die Fahne der Inquisition. Ihnen folgte eine eindrucksvolle Reitergruppe. Der Amtsdiener legte die Beglaubigungsschreiben des Inquisitors am Tor vor, und die örtliche Miliz ließ den Zug durch. Es war eine ebenso aufsehenerregende wie überflüssige Formalität. Die besiegte Stadt musste dem Sieger ihre Tore öffnen.
    Die heftige Auseinandersetzung zwischen König und Stadtrat hatte sich dreieinhalb Jahre hingezogen, doch am Ende führte der Monarch den letzten Schlag, indem er sich einer päpstlichen Bulle bediente. Bruder Espina wurde für unverletzlich erklärt, und er hatte uneingeschränkte Vollmacht, als er in Barcelona eintraf.
    In dieser Zeit verließen Hunderte Konvertiten die Stadt und nahmen ihr Vermögen mit, um nach Frankreich oder Italien zu fliehen. Niemand hinderte sie daran. Der unerhörteste Fall war die Flucht von Antoni de Bardaixi, dem Präsidenten des königlichen Kammergerichts in Barcelona. Er war ein persönlicher Freund des Königs Ferdinand. Man hielt ihn für einen guten Katholiken und wusste nicht, dass er jüdische Vorfahren hatte. Wenn sich selbst eine solch hochrangige Persönlichkeit bedroht fühlte, kündigte sich für die Konvertiten eine äußerst düstere Zukunft an. Kein Ratsherr der Stadt und auch kein Abgeordneter der Generalitat empfing den Inquisitor. So bekundeten sie ihre Ablehnung und Absicht, dessen Arbeit möglichst zu erschweren.
    Trompeten und Trommeln ertönten, als sich der Zug die Rambla hinunterbewegte. Die Städter sahen erwartungsvoll zu, und ihre Haltung reichte von Feindseligkeit bis zu willkommen heißendem Beifall. Zu denen, die klatschten und jubelten, gehörte Felips Bande.
    »Diese Juden, die sich als Christen ausgeben, bekommen jetzt zu spüren, was gut ist!«, sagte er und drängte seine Leute, Beifall zu klatschen.
    Joan klatschte widerstrebend. Er war schon fünfzehn Jahre alt, und je größer er wurde, desto mehr wandelte sich die Angst vor

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