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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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mit Meisterstücken war in allen Zünften sehr ähnlich. Diese überwachten die Qualität der Erzeugnisse ihrer Mitglieder aufmerksam, und wenn sich ein Kunde beschwerte und die Zunft dies für begründet hielt, konnte es passieren, dass das besagte Erzeugnis öffentlich zerstört wurde. Das betreffende Zunftmitglied musste das Geld zurückgeben und setzte sich der Gefahr aus, ausgestoßen zu werden. In diesem Fall könnte es die entsprechende Tätigkeit nicht mehr ausüben.
    Joan wusste, dass ein Meisterstück für ihn in weiter Ferne lag. Er war noch nicht einmal Lehrling; doch er wollte sein erstes Buch herstellen. Er bat Meister Guillem um Erlaubnis. Dieser entgegnete, es sei noch viel zu früh dafür, aber wenn er nur wertlose Papierreste benutze, könne er es versuchen. Daher musste es ein kleines Buch sein, denn es gab keine nennenswerten Reste, und darum sollte es nicht mehr als eine Handlänge messen. Er trug einzelne Blätter zusammen, und nach zwei Wochen hatte er zwanzig Seiten zum Einbinden. Der erste Schritt bestand darin, sie auszurichten und mit der Metallschere auf dieselbe Größe zuzuschneiden. Dann musste er sie mit einer Schraubenspindel zusammendrücken und den Rücken mit mehreren Stichen zusammenheften. Er heftete sie in Zehnergruppen und band sie hierauf an Pergamentdeckel. Um Deckel und Rücken herzustellen, benutzte er drei Lederstücke. Damit bezog er den Deckel, indem er Leder und Pergament so verleimte, dass man nicht die Nähte des Rückens sah, der außerdem mit dem Leim verstärkt wurde. Sobald er trocken war, prüfte Joan sorgfältig sein Werk, bevor er es dem Meister zeigte. Joan war mit dem Ergebnis zufrieden, doch nachdem sich Guillem das Buch angesehen hatte, wies er ihn auf allerlei Mängel hin und erklärte, was er tun müsse, um diese in Zukunft zu vermeiden. Doch endlich sagte er lächelnd: »Sehr gut, Joan. Es ist eine ausgezeichnete Arbeit, da sie von einem Anfänger kommt. Wenn du so weitermachst, wirst du eines Tages dein Meisterstück herstellen.«
    Joan war stolz auf seine Arbeit. Es kam nicht häufig vor, dass man von einem Meister beglückwünscht wurde. Guillem erklärte, er werde den Herrn bitten, Joan zu gestatten, dass er sein Werk behalten dürfe. Es war seine erste Arbeit, er hatte sie aus Abfallstoffen hergestellt, und das Buch hatte nicht die Qualität, um es im Laden der Corrós zu verkaufen. Am nächsten Tag sagte ihm der Meister, das Buch gehöre ihm. Joan nahm es mit ins Kloster und bat den Novizen, ihn zu lehren, seinen Namen zu schreiben. Mit eleganten gotischen Buchstaben trug er in sein Buch »Joan Serra« ein. Niemand sollte erfahren, dass er allmählich, Silbe für Silbe, verstand, was er schrieb.
    Joan stellte das Buch auf einen Vorsprung in der Mauer seiner Zelle und bestaunte es, während er an Abdalás Worte zurückdachte. Es war ein heiliger, magischer Gegenstand. Und es gehörte ihm.
    Ein paar Tage danach kopierte er auf dem ersten Blatt des Buches den Zettel, den ihm sein Meister gegeben hatte, als es um den Neulingsstreich der Nadel mit den drei Spitzen ging. »Damit du entdeckst, was du suchst, musst du wissen, was es ist. Der Name der Dinge darf dich nicht täuschen. Finde heraus, wie sie wirklich sind.«
    Nachdem er den Lederdeckel des Buches gestreichelt hatte, versteckte er es wieder. Einige Tage später bat er den Novizen, er solle ihm beibringen, den Namen »Anna« zu schreiben. Da Bücher magische Kräfte haben, war ihm klar, dass er damit etwas von dem Mädchen besaß. Es war so wunderbar, dass es sich nicht beschreiben ließ. »Anna«, las er immer wieder in seinem Buch. Er musste unaufhörlich an sie denken.

31
    J e mehr Achtung Joan vor dem Alten und seinen außerordentlichen Kenntnissen hatte, desto mehr wollte er über ihn wissen. Was brachte eine Persönlichkeit diesen Ranges in die Sklaverei? Einmal fragte er ihn, woher er stamme, und der Maure antwortete, aus Granada. Joan wusste, dass König Ferdinand und Königin Isabella, seine Gemahlin, Krieg gegen das nasridische Königreich führten. Sie hatten erreicht, dass der Papst diesen Krieg zum Kreuzzug erklärte und dass man Ablassbriefe in Barcelona verkaufte, die Lebenden und Toten die Vergebung ihrer Sünden versprachen, wenn sie stattdessen Geld für den Feldzug spendeten. Aus Vorsicht fragte der Junge nicht weiter, doch wenige Tage später wollte er wissen, ob man Abdalá im Krieg gefangen genommen habe.
    Der Granadiner schüttelte den Kopf. Der jetzige Krieg hatte 1481

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