Am Meer ist es wärmer
einmal an. Er sah blass aus. Was hast du? Aufmerksam musterte ich ihn.
»Ich bin eifersüchtig«, sagte er.
Eifersüchtig. Ich schluckte. Ein seltsames Wort. Aus Seijis Mund. Er sagte es, obwohl er es nicht hätte sagen sollen.
»Aber er ist nicht mehr da«, flüsterte ich.
Seiji schwieg. Er wollte wohl noch etwas sagen. Aber anscheinend konnte er nicht. Als ob er nicht die richtigen Worte fand.
Ich drängte mich an ihn. Ich konnte nicht verstehen, dass Seiji, der eine Frau und drei Kinder hatte, auf mich, die außer Momo niemanden hatte, eifersüchtig war. Vielleicht spielt es gar keine Rolle, ob man jemanden hat oder nicht.
»Ich bin eifersüchtig, eben weil er nicht da ist«, sagte Seiji. »Obwohl er nicht mehr da ist, verfolgt er dich, das macht mich eifersüchtig«, erklärte er.
Er verfolgt dich.
Bei diesem Satz zuckte ich zusammen.
»Du weißt, dass ich verfolgt werde?«
»Verfolgt?«, wiederholte er abwesend. Ich wusste sofort, dass er nichts wusste und es nur zufällig gesagt hatte. Ich will nicht, dass Seiji davon erfährt, dachte ich inbrünstig.
Plötzlich erschien das Etwas, das mich verfolgte. Seine Präsenz war stark. Es war kein Mensch, sondern eher so etwas wie ein Tier mit Fell. Es hatte Ähnlichkeit mit mir, damals in der Schwangerschaft, als die Übelkeit aufhörte und die stabile Phase begann.
Es brachte einen Geruch nach Wasser mit. Als ich kräftig den Kopf schüttelte, verschwand es. Seiji sagte nichts mehr.
Einmal hatte Rei mit Momo geschimpft. Es war kurz vor seinem Verschwinden.
Er hatte sie nicht spontan angeschrien, wie man es bei einem dreijährigen Kind tut, das noch nicht richtig sprechen kann, um es vor einer Gefahr zu warnen, sondern hatte ihr alles systematisch erklärt.
Momo hatte Reis Akten bekritzelt. Mit Buntstiften, rot, gelb und pink.
Momo, komm hierher, rief Rei aus dem Flur. Er war auf dem Weg ins Büro. Ich spülte in der Küche Geschirr und verstand ihn nicht richtig. Also lief ich, mir die Hände an der Schürze abtrocknend, in den Flur, da ich dachte, er wolle mir noch etwas sagen. Momo kniete in respektvoller Haltung vor ihm. Auch Rei kniete steif und gerade in dem engen Flur. Seine Hose schlug Falten.
Er deutete auf die bekritzelten Akten und erklärte Momo, warum sie so etwas nicht tun dürfe. Eine Dreijährige versteht das doch gar nicht, dachte ich, aber Momo hörte ihm artig zu. Sie war kein besonders unruhiges Kind, aber Kinder in dem Alter können normalerweise nicht lange stillsitzen, dennoch rührte sie sich nicht.
Sie ließ den Kopf hängen und entschuldigte sich. »Ensuldigung, Papa.« Es gibt Kinder, die können das »sch« von Anfang an richtig aussprechen, andere lernen es ewig nicht. Momo gehörte zu den letzteren. »Momo macht nis mehr«, sagte sie und sah Rei gerade ins Gesicht. Er nickte.
Einen Moment saßen sie einander gegenüber. Als Rei aufstand, fing Momo an zu weinen.
Weinte sie, weil sie ausgeschimpft worden war oder weil sie plötzlich von der Anspannung befreit war, in dieser ungewohnt steifen Haltung vor einem Erwachsenen zu knien und sich entschuldigen zu müssen? Oder verlangte ihr Körper einfach nur, dass sie Flüssigkeit absonderte?
Rei strich ihr über den Kopf. Du bist ein gutes Kind, sagte er und streichelte sie zärtlich.
Ich habe mich richtig als Vater gefühlt, sagte Rei an dem Abend. Aber du bist doch längst ihr Vater, erwiderte ich. Er schüttelte den Kopf. Aber ich fühle mich nicht so. Nicht richtig.
Im Fernsehen wurden gerade die Ergebnisse des Septemberturniers im Sumo übertragen. Damals dachte ich nie über das Wort »Familie« nach. Ich dachte gar nichts. Erst seit ich Rei verloren hatte, machte ich mir Gedanken darüber.
Schon damals folgte mir etwas. Aber es war sehr schwach. So schwach, dass ich fast daran zweifelte, ob es wirklich da war. Jetzt war es anders. Ob schwach oder stark, es war eindeutig spürbar.
Der Yokozuna hat gesiegt, sagte der Kommentator. Die Szenen der letzten Runde wurden wiederholt. Jubel brach aus, und Rei blickte zum Bildschirm.
Ich zerfließe, dachte ich. Ich streckte meine Hand aus und berührte sachte seinen Nacken. Er lächelte. Es war ein sehr liebevolles Lächeln. Seit wann lächelt er so?, fragte ich mich verwundert. Das Gefühl des Zerfließens breitete sich aus.
Kurz darauf war Rei verschwunden.
»Ich hatte etwas verlegt. Und hab’s wiedergefunden«, sagte Momo.
»Was denn?«, fragte ich. Momo öffnete ihre Hand.
»Das hier.«
In ihrer Hand lagen einige
Weitere Kostenlose Bücher