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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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ihn.
    Unsere erste gemeinsame Nacht verbrachten wir in Hakone. Wir hatten uns am frühen Abend in Shinjuku verabredet. Wir wussten noch nicht wo, hatten aber beschlossen, zusammen zu übernachten.
    »Wir fahren mit dem Romantikzug, ja?«, sagte Rei und kaufte zwei Fahrscheine. Ich erinnere mich noch immer an das Klicken, mit dem die Fahrscheine an der Sperre gelocht wurden.
    Von Yumoto nahmen wir eine Bergbahn, die wir irgendwo verließen. Wir stiegen einen Pfad hinauf und gelangten zu einer Pension.
    »Wollen wir hier bleiben?«, fragte Rei.
    Links von der Milchglastür befand sich eine Standuhr. An der Rezeption war eine Frau. Sie eilte uns mit zwei Paar Hausschuhen entgegen, die sie uns vor die Füße legte.
    »Was kostet eine Übernachtung?«, fragte Rei.
    7000 Yen pro Person mit Abendessen und Frühstück.
    »Nehmen wir«, entschied er, ohne zu zögern. Die Wirtin führte uns auf unser Zimmer.
    Er nahm einen von den Manjū,  (*)   den gefüllten Klößchen, die zur Begrüßung auf dem Tisch standen, wickelte es aus dem Papier und steckte es ganz in den Mund. Soll ich Tee aufgießen?, fragte ich. Rei erwiderte, er könne selbst welchen machen.
    Als ich vom Baden zurückkam, hatte Rei sich auf den Tatami   (*) ausgestreckt. Sein baumwollner Yukata (*)   war lose geöffnet und neben seinem Ellbogen, auf den er sich stützte, stand eine Teeschale.
    Möchtest du etwas trinken?, fragte er. Tee?, fragte ich zurück. Nein, das ist Whisky, der hier im Kühlschrank war, antwortete Rei.
    Er musste etwas trinken, gestand er mir später. »Ich war so nervös, allein mit dir in dem Hotel.«
    Nach dem Abendessen machten wir einen Spaziergang. Wir trugen unsere Yukata. Unsere Geta  (*)   klapperten laut durch die Dunkelheit der kleinen Asphaltstraße. Reis Atem roch nach Alkohol.
    Ich hatte schon mit anderen Männern die Nacht verbracht, und alle hatten sich bemüht, die gemeinsame Zeit möglichst fröhlich zu gestalten. Mit Rei war die Stimmung klar und unzweideutig. Überflüssige Geräusche und Körperwärme wurden geschluckt. Es wurde nicht heiter, nicht warm.
    Und gerade deshalb trug es mich umso heftiger davon.
    Es war Frühsommer, als wir nach Hakone fuhren.
    Im Morgengrauen hatten wir noch einmal kurz miteinander geschlafen. Es war viel intensiver als am Abend zuvor.
    Während wir an der Rezeption standen und zahlten, musste ich plötzlich an unsere Stellung am Morgen denken und wurde feucht. In dem Jahr hatte sich das Ende der Regenzeit verspätet. Es nieselte, und wir gingen unter einem Regenschirm. In der Vitrine eines Souvenirgeschäfts standen Schachtelpuppen, ähnlich russischen Matroschkas. Sieben von ihnen standen der Größe nach geordnet in einer Reihe.
    Wie hübsch, sagte ich. Sollen wir sie kaufen?, fragte Rei. Als ich zögernd schwieg, ging er wortlos mit ihnen an die Kasse, bezahlte und schob das Päckchen in meine Tasche. Es sei das erste Mal, dass er etwas für eine Frau gekauft habe, erzählte er mir auf der Rückfahrt im Romantikzug. Ich war überrascht. Das allererste Mal überhaupt? Lachend stellte ich die Puppen, die man in der Mitte auseinandernehmen konnte, eine nach der anderen am Zugfenster auf. Die innerste hatte die Größe einer Ein-Yen-Münze.
    Rei schnippte mit einem Fingernagel gegen jede einzelne der Puppen. Sie waren hohl, und jedes Mal machte es leise »tock«.
    »Es ist auch das erste Mal, dass ich mit einer Frau verreist war und nicht sofort die Flucht ergreifen will«, sagte Rei im Gewühl des Shinjuku-Bahnhofs, nachdem wir ausgestiegen waren.
    »Die Flucht?« Lachend sah ich zu ihm auf. Er lachte auch, aber es wirkte ein wenig bitter.
    Wir konnten uns nicht trennen und gingen, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, in eine Kneipe in einer Seitengasse. Wir bestellten uns jeder ein großes Bier vom Fass und waren erleichtert, als es endlich anfing zu dämmern. Auch an diesem Tag ging ich nicht nach Hause, sondern übernachtete das erste Mal bei Rei. Ohne die Nacht abzuwarten, liebten wir uns schon am frühen Abend voller Leidenschaft. Unsere Körper hatten sich bereits aufeinander eingestellt. Eng umschlungen und wie bewusstlos schliefen wir ein.
    »Es riecht nach Kanal«, sagte meine Mutter.
    »Ich glaube, hier in der Gegend gibt es gar keinen mehr«, erwiderte ich. Als ich klein war, war unser Ball beim Spielen öfter in das trübe Rinnsal der zu beiden Seiten der Straße verlaufenden, offenen Kanalisation gefallen, und ich rieb ihn auf dem Asphalt ab. Irgendwann wurde

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