Am Meer ist es wärmer
fahren?«, fragte Seiji.
»Wohin denn?«
»Du warst doch vor Kurzem mit Momo in Manazuru, oder?«
Von meinem ersten spontanen Ausflug nach Manazuru hatte ich ihm nichts erzählt.
Stimmt..., murmelte ich. Zehn Jahre waren vergangen. Inzwischen war ich länger mit Seiji zusammen, als ich es mit meinem Mann gewesen war.
»Am liebsten ans Ende der Welt«, murmelte ich.
»Ans Ende der Welt? Sag mal was Konkretes: lieber in den Süden, Norden, Westen oder Osten?«
Es war typisch für Seiji, dass er gleich ernsthaft zur Sache ging.
»An den Nordpol will ich nicht. Zu kalt. Auch nicht an den Südpol«, sagte ich, aber diese Ernsthaftigkeit ermüdete mich. Mit Seiji war alles ganz normal. Normalität ist schwierig. Es gibt so vieles, das normal ist. Aber einen Ausnahmezustand kann man auf Dauer nicht durchhalten. Irgendwann bricht alles zusammen. Etwas kaputt gehen zu lassen ist einfach. Aber dauerhafte Normalität zu leben ist das Schwierigste von allem.
»Woran denkst du?«, fragte Seiji.
»An nichts Besonderes«, erwiderte ich.
Ich dachte nun mehr über Seiji nach als früher. Am Anfang hatte ich nie darüber nachgedacht, was normal war und was nicht. Ob Rei sich je Gedanken über mich gemacht hatte? Mein Gesicht verdüsterte sich.
»Siehst du, jetzt denkst du schon wieder an jemanden, der nicht da ist«, sagte Seiji.
»Woher weißt du das?«, fragte ich überrascht.
»Neuerdings sieht man dir das an.«
Ob er wieder eifersüchtig war? Wenn ja, dann musste er es häufig sein. Auch das Wort Eifersucht war mir zu Anfang nie in den Sinn gekommen.
Zärtlichkeit wallte in mir auf, und ich nahm ihn in die Arme. Du umarmst mich wie eine Mutter, sagte er.
Ich bin nicht deine Mutter. Dann: Doch, ich bin es, sagte ich und umarmte ihn noch fester. Die Frau folgte mir. Die Frau, die mich immer begleitete, wenn ich nach Manazuru fuhr. Die Frau, die mich ständig aufforderte, dorthin zu fahren.
Seiji, verlass mich nicht, sagte ich und drückte ihn mit aller Kraft an mich. Seiji ließ es mit hängenden Armen geschehen.
Da es schon früh heiß wurde, wechselte ich noch, bevor der Sommer anfing, zweimal zwischen Winter- und Sommergarderobe.
Einmal zu der Zeit, als Momos Kaulquappen Gliedmaßen entwickelten, und noch einmal Ende Juni, mitten in der Regenzeit.
»Es riecht gar nicht mehr nach Mottenkugeln«, sagte meine Mutter. Bis Momo geboren wurde, hatte ich immer von den Zellophantütchen, in denen sich jeweils zwei Mottenkugeln befanden, eine kleine Ecke abgeschnitten und mehrere in den Schubladen des Kleiderschranks verteilt.
»Sie riechen nicht mal mehr.« Meine Mutter schnupperte an den Kugeln und verzog dabei das Gesicht. »Heutzutage geht jede Atmosphäre verloren.«
Der Kleiderwechsel Ende Juni war ein größeres Ereignis. Die dicken Wintersachen wurden hinten im Wandschrank verstaut, und die sommerliche Garderobe kam nach vorne. Angeschmutzte Kleidungsstücke für die Übergangszeit packte ich in Tüten, um sie später in die Reinigung zu bringen.
Meine Mutter zog eine ärmellose Bluse vom letzten Sommer an. Sie strich über ihre dünnen Arme. »Runzlig, wie Krepp«, murmelte sie.
»Schau nur, die vielen Falten, wenn ich meine Haut hier zusammendrücke. Fass mal an, Kei«, sagte sie, und ich berührte der Form halber ihren Oberarm. Die etwas trockene Haut spannte sich nicht.
»Noch ist meine Haut nicht ganz vertrocknet. Ich muss sie zusammendrücken.«
Amüsiert drückte sie die Haut ober- und unterhalb des Ellenbogens zusammen, um den Kreppeffekt hervorzurufen. Daran merkt man, dass man alt wird, sagte sie. In ein paar Jahren wird meine Haut so vertrocknet sein, dass ich auch ohne Drücken Runzeln habe, sagte sie fast verwundert.
Es kommt selten vor, dass wir eine Hausarbeit gemeinsam erledigen. Wenn wir uns am gleichen Platz bewegen, wird es zu heiß. Wenn wir verschiedene Dinge tun, bleibt es kühl.
»Es macht Spaß, die Wintersachen gemeinsam wegzupacken, nicht?« Meine Mutter lachte. »Wenn wir sie im Winter wieder hervorholen, soll Momo uns helfen.« Ich stimmte zu.
Durch das Hantieren mit den schweren und leichten Stoffen wurden meine Handflächen mit der Zeit glatt. Immer wieder erhoben wir uns und nahmen die Kleider behutsam aus dem Schrank. Dann gingen wir in die Hocke und legten sie in Schachteln. Immer so weiter, ein Kleidungsstück nach dem anderen. Leise raschelnd rieben die Stoffe aneinander. Zwei Frauen, eine alte und eine etwas jüngere, die sich zwischen Kleidern hin- und herbewegten.
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