Am Meer ist es wärmer
Kugeln in Silberpapier.
»Schokolade?«
Ja. Momo nickte. Habe ich geschenkt bekommen. Zum Valentinstag, fügte sie hinzu.
»Du?«
Statt den Jungen schenken wir jetzt lieber unseren Freundinnen Schokolade.
Möchtest du eine, Mama? Momo hielt mir die Hand mit den silbernen Pralinen entgegen. Ich löste das Stanniolpapier von unten, wo es zusammengedrückt war, und eine kleine braune Kugel kam zum Vorschein. Ich steckte sie in den Mund. Ich lutschte ein wenig, und als ich darauf biss, ergoss sich die zähflüssige Füllung in meinen Mund.
»Sie waren ganz hinten in meinem Schreibtisch.« Momo wickelte eine Praline nach der anderen aus und steckte sie sich in den Mund. Auf einer Wange hatte sie einen Pickel. Sie kamen und gingen wie sich kräuselnde Wellen, wenn sie morgens einen hatte, konnte er am Abend schon wieder verschwunden sein. Momos feinporige Haut hatte neuerdings eine andere Nuance. Lange hatte sie die weiche, feuchte Haut eines kleinen Kindes behalten, doch nun begann sie eine gewisse innere Festigkeit zu entwickeln.
»Es ist interessant mit Geschenken«, sagte Momo, während sie ausgiebig auf der Schokolade herumkaute. »Ich würde mich mehr über etwas freuen, das ich mir wünsche, als über eine Überraschung.«
Ich staunte. Sie klang wie eine erwachsene Frau.
»Wünschst du dir denn etwas?«, fragte ich.
»Eigentlich schon.«
»Was denn?«
Sie setzte an, schloss aber den Mund wieder. Nicht, dass sie es nicht sagen wollte, sie konnte es wohl nur nicht gut ausdrücken. Ihr zögernd geöffneter Mund gab den Blick auf das leicht schokoladenbraun gefärbte Innere frei. Wenn du es mit Worten erklären kannst, dann sagst du es mir, ja? Ich ging aus dem Zimmer. Seit wann hatte ich dieses Gefühl des Zerfließens nicht mehr? Bei Seiji zerfließe ich nicht. Mein Umriss wahrt stets ordentlich seine ursprüngliche Form.
Unsere erste Nacht verbrachten Seiji und ich in einem Ryokan, einem traditionellen japanischen Gasthaus, an der Küste von Izu. Ich hatte einen Tag an eine Geschäftsreise angehängt, um mich dort mit ihm zu treffen.
Am Bahnhof erkundigten wir uns nach der Haltestelle des hoteleigenen Minibusses und warteten auf seine Abfahrt. Der Fahrer war noch nicht da, aber die Tür stand offen, und wir stiegen als Erste ein. Bald kamen drei Damen hinzu und nahmen in der Mitte Platz, schließlich noch ein jüngeres Paar in den Zwanzigern. Am Schluss schlenderte der Fahrer heran und setzte sich ans Steuer. Bei genauerem Hinsehen erkannten wir in ihm den älteren Mann mit den Ärmelhaltern, der vor dem Bahnhof Gäste angeworben hatte.
Das Gasthaus war groß, und eine Menge Leute hatten darin Platz. »Hier geht es ja lustig zu«, sagte ich, und Seiji lachte. »Von mir aus hätte es ruhig etwas verschwiegener sein können«, sagte er.
Wir gingen getrennt in das große Bad, und weil danach noch Zeit bis zum Abendessen war, spielten wir Tischtennis. Der Raum hatte Teppichboden, also zogen wir unsere Schlappen aus und spielten barfuß. Ich strengte mich so an, dass mir heiß wurde und ich meine Ärmel bis zu den Schultern aufkrempelte.
»Das ist ja wie auf einem Schulausflug«, sagte ich und fächelte mir mit dem Schläger Luft zu. In dem Moment schmetterte Seiji mir einen kräftigen Ball entgegen. Ich ärgerte mich und schnitt beim nächsten Aufschlag den Ball so stark wie möglich an.
Nach dem Abendessen wurde ich sehr müde. Außerdem war ich nach dem Tischtennis noch einmal ins Bad gegangen. Die Reise mit Rei hatte mehr von einer heimlichen Affäre gehabt, dachte ich, während wir auf unserem Zimmer fernsahen. Auf einmal wurde mir sehr deutlich, dass Seiji eine Familie hatte. Seit Reis Verschwinden hatte ich vergessen, was es hieß, eine Familie zu sein.
Wir schalteten den Fernseher aus, legten uns nebeneinander auf den Futon und schauten an die Decke. Komm, sagte Seiji. Wie immer. Ich wandte mich ihm zu, wir taten es, lösten uns voneinander und schauten wieder zur Decke.
Eine Ehe mit Seiji hätte sicher lange gehalten. Nicht nur unsere Beziehung im Speziellen. Jede Beziehung, die er einging, festigte sich allein durch ihre Dauer ganz von selbst.
Dauer. Von vor meiner Mutter bis nach Momo. Etwas, das ohne Unterbrechung andauerte.
Etwas, das man weder nur als Gedächtnis oder Genstruktur bezeichnen kann. Ein anderes Wort als »Dauer« fiel mir dafür nicht ein.
Ich schlief sofort ein und wachte bis zum nächsten Morgen kein einziges Mal auf.
»Wollen wir nicht endlich mal wieder wohin
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