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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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Mit spitzen Fingern die mit Heftklammern befestigten Reinigungszettel vom letzten Jahr entfernten. Die Papierbögen erneuerten, mit denen die Schubladen ausgelegt waren. Die alten falteten und fortwarfen. Frische Bögen ausbreiteten und Kleidungstücke darauf legten.
    Bei jedem Garderobenwechsel entdeckte ich Sachen, die ich nicht mehr brauchte. Beim Verstauen und auch beim Herausnehmen stieß ich auf allerlei Überflüssiges. Einiges zerschnitt ich, um die Fenster damit zu putzen. Was noch gut war, verschenkte ich an Verwandte. Manches warf ich auch weg. Von warmer Kleidung hob ich nur die Knöpfe auf und entsorgte den Rest.
    Meine Mutter und ich hantierten mit unseren Scheren - ich mit einer großen japanischen Schere, sie mit einer silberfarbenen westlicher Art. Ungeschickt schnitt ich mir in den Mittelfinger. Sogleich quoll rotes Blut hervor und tropfte zu Boden. Während ich an der Wunde saugte, brachte meine Mutter mir ein Pflaster.
    Ich hielt den Finger für einen Moment senkrecht in die Luft, damit die Blutung aufhörte, und legte das Pflaster um die Wunde. Ich drehte den Finger und drückte es fest. Die um uns herum ausgebreitete Kleidung verströmte einen eigentümlichen Geruch.
    »Das ist kein Mottenpulver«, sagte meine Mutter. »Das kommt, wenn die Kleidung lange liegt. Sie ist zwar nicht feucht, aber ein bisschen modrig riecht es schon.« Sie schloss die Augen und atmete den Geruch mehrmals tief ein, wie um sich seiner zu vergewissern.
    Die Frau hatte mich angesprochen. Meine Verfolgerin.
    Neuerdings wandte ich mich ab und zu an sie, aber es war ungewöhnlich, dass sie etwas zu mir sagte.
    »Du solltest dich allmählich bereit machen«, sagte sie.
    »Bereit? Wofür?«, fragte ich. Sie schielte, vielleicht weil es ungewohnt für sie war, mich anzusprechen. Ihre schwarzen Augen rollten nach innen, als wolle sie um jeden Preis ihre Nase betrachten. Erst nach einer Weile normalisierte sich ihr Blick. Zu meiner Erleichterung, denn es war doch recht unheimlich, mit einer Frau zu sprechen, die dermaßen schielte.
    »Du fährst doch hin?«, fragte sie mit für sie ungewöhnlicher Direktheit.
    »Wohin?«
    »Nach Manazuru.«
    Also doch. »Was ist in Manazuru?«, fragte ich die Frau.
    »Im Juli fährt dort ein Schiff ab. Es fährt weit übers Meer«, fuhr sie fort. Sie schwebte auch nicht in der Luft, wie sonst, wenn sie mir folgte, sondern stand auf gleicher Höhe mit mir. Es war beinahe, als würde ich mit einer Nachbarin ein Schwätzchen halten.
    »Ist Rei in Manazuru verschwunden?«, fragte ich weiter.
    »Tja...« Wenn es um Rei ging, blieb sie unverändert vage. Aber vielleicht tat sie nur so, als wüsste sie von nichts.
    Sie schien weiter über das Schiff sprechen zu wollen. So ein ... Schiff... wartet in..., ... bringt. Ihre Sätze klangen abgerissen. Schwer zu verstehen, wie bei starkem Wind, und ihre Stimme klang immer wieder sehr rauh.
    »Gehst du an Bord?«, fragte ich. Sie fing wieder an zu schielen.
    Nein... denn das Schiff... fährt ab.
    »Wird dieses Schiff um 21.00 ablegen?«, fragte ich, aber die Frau antwortete nicht mehr. Nachdem das Schielen zum zweiten Mal eingesetzt hatte, war sie zunehmend schlechter zu verstehen. Der Wind rauschte. Das bildete ich mir nicht ein, es war wirklich windig.
    »Wirst du fahren?«, fragte sie zum Schluss, ehe sie verschwand. Ob der Wind sie davongetragen hatte?
    Werde ich fahren?, fragte ich mich selbst. Aber ich wusste ja nicht, wann dieses Schiff ablegte und von welchem Hafen. Sollte ich trotzdem hinfahren? Nach Manazuru im Juli?
    »In Manazuru wurde früher Obsidian gefunden.« Erklärte mir Seiji.
    »Du weißt ja gut Bescheid.«
    »Ich habe ein bisschen recherchiert. Manazuru beschäftigt mich, weil es dich beschäftigt.«
    »In der Jōmon-Zeit  (*)   hat man Waffen und Schmuck daraus gefertigt. Obsidian war ein wichtiger Werkstoff in der Steinzeit. Das hast du bestimmt auch in der Grundschule gelernt, oder?«
    »Habe ich vergessen«, sagte ich und Seiji lachte. Die Vorstellung, dass Seiji meinetwegen etwas recherchierte, ohne dass ich dabei war, hatte etwas Seltsames. Dabei hatte ich ihn manchmal sogar ein wenig gehasst, weil er nicht mir allein gehörte. Das hatte sich geändert, wie Beziehungen sich eben ändern.
    In letzter Zeit suchte Seiji meine Nähe. So war es immer, wenn er näher kam, suchte ich die Distanz. Oder wünschte ich mir die vollkommene Nähe? Nein, eigentlich gefiel mir weder das eine noch das andere. Am liebsten war es mir, wie es

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