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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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werden«, sagte ich.
    Die Frau nickte. »Aber irgendwann sterben sie doch«, murmelte sie.
    Das Schiff drehte sich, bis der Kiel aus dem Wasser ragte. Zahlreiche Köpfe tauchten darunter hervor. Das Ganze wirkte wie ein Spiel, das im ruhigen Flachwasser nicht weit vom Strand stattfand, obwohl sicher nicht wenige Menschen in die Tiefe gedrückt wurden.
    »Ob es Tote gibt?«, fragte ich die Frau.
    »Weiß ich nicht«, antwortete sie wie üblich etwas schroff.
    Einige der im Meer Treibenden kraulten dem Ufer entgegen, während andere auf der Stelle schwammen. Man hatte fast den Eindruck, das Schiffsunglück wäre ein Teil der Festivitäten.
    Am Strand fand mit großem Getöse ein großes Feuerwerk statt.
    Das Schiff mit den Göttersänften fuhr weiter, ohne von den Schiffbrüchigen Notiz zu nehmen, und legte am Ufer zu Füßen des Schreins an.
    Unter lautem Rufen trugen die Männer die Mikoshi den steilen Hang hinauf zum Schrein.
    Die Menge riss mich bis an den Anfang der Treppe zum Schrein mit, so dass ich das Schiff nicht mehr sehen konnte. Ich konnte mich nicht wehren.
    Ich rief nach der Frau. Sie war kurz vorher verschwunden. Menschen, die Gesichter von der festlichen Stimmung erhitzt, strömten an mir vorbei. Ich nahm sie gar nicht einzeln wahr, sondern hatte lediglich das Gefühl, von etwas Heißem umgeben zu sein.
    Während ich mich durch die wogende Menge drängte, stieß ich immer wieder mit Leuten zusammen. Wie harte Bälle schlugen ihre Arme und Beine gegen meinen Körper. Ich flüchtete in eine Gasse, um zu Atem zu kommen. Als ich mich nach der Frau umschaute, war sie nirgends zu sehen.
    Ich stieg die Gasse hinauf. An ihrem Ende traf ich auf ein Grundstück mit einer Ruine. Um die morschen Balken rankten sich Kletterpflanzen. Im kniehohen Gras lagen Felsen aus dem Meer. Der Festlärm drang nicht bis hierher.
    »Man braucht nur ein Stück bergauf zu gehen, und schon ist es ruhig«, sagte die Frau.
    Ich fuhr zusammen. »Seit wann bist du hier?«, fragte ich.
    »Ich bin immer da«, erwiderte sie.
    Wir setzten uns auf einen der Felsen und blickten aufs Meer. Viel war nicht davon zu sehen, da einige alte Lagerhäuser die Sicht versperrten.
    Das Feuerwerk war noch im Gange. Aber ich konnte es nicht hören. Anscheinend waren, wie am Tag zuvor, als ich in dem weißen Gebäude Kaffee getrunken hatte, alle Geräusche verstummt.
    »Sieh mal!«, rief die Frau und deutete zwischen den Lagerhäusern hindurch. Träge trieb das gekenterte Schiff auf dem Meer. Unzählige Funken sprühten um seinen Rumpf, verwandelten sich in kleine Flammen und umschwebten ihn geisterhaft. Doch das Holz war nass, und es entstand kein richtiger Brand. Nur hier und da flackerten kleine Feuer auf, die jedoch bald wieder verloschen.
    Aber zum Schluss geriet doch das ganze Schiff in Brand.
    »Gleich bricht es auseinander«, sagte die Frau.
    Langsam wurde das Schiff von den Flammen verzehrt. Die im Wasser treibenden Menschen verschmolzen ebenfalls mit den Flammen. Wie im Traum schwanden sie sachte dahin, während das Schiff krachend auseinanderbrach.
    »Wie schön«, murmelte versonnen die Frau.
    Wir schritten durch die geräuschlose Landschaft.
    Es wehte ein starker Wind. Nachdem er sich gegen Abend gelegt hatte, blies er nun stürmisch und ununterbrochen von allen Seiten. Sogar Windhosen erhoben sich. Heftig schlugen mir die Haare um den Kopf. Als ich die Augen schloss, spürte ich die peitschenden Sandkörner. Tut das weh?, fragte die Frau. Nein, antwortete ich, und sie nahm mich an der Hand.
    Ich ließ mich von ihr führen.
    Ich hörte und sah nichts. Obwohl ich die Augen geöffnet hielt, sah ich keine Landschaft. Es war, als ginge ich durch dichten Nebel oder würde wie in einem Schwindel dahintaumeln. In der Ferne lag das Meer mit dem brennenden Schiff.
    »Furchtbar«, sagte die Frau, die mitunter einen Blick in die Richtung warf.
    »Sind alle verbrannt?«, fragte ich.
    Sie gab keine Antwort. Ein Jammer, sagte sie nur.
    Was ist ein Jammer?
    Dass sie überhaupt abgefahren sind, beendete sie ihren Satz.
    Auf einmal bemerkte ich vor uns im Nebel eine Gruppe Männer. Von hinten wirkten sie, als wären sie im Begriff, eine Reise anzutreten. Sie trugen adrette Jacketts und Ledermappen, ihre Haare waren sorgfältig gekämmt, und alle schienen noch nicht entwertete Fahrkarten in den Brusttaschen zu haben.
    »Rei!«, rief ich.
    Einer der Männer wandte sich um.
    Aber es war nicht Rei. Dann drehte der Mann neben ihm sich ebenfalls um. Seine markanten

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