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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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den vom Foyer einsehbaren Poolbereich. Das Wasser kräuselte sich. Mir kam es windstill vor, aber offenbar wehte doch eine Brise.
    Ich setzte mich unter einen der aufgespannten Sonnenschirme. Der Plastiktisch quietschte, als ich meinen Ellbogen darauf stützte. Die Präsenz der Frau verdichtete sich.
    »Wir sind uns wirklich sehr nah gekommen«, sagte ich.
    An der Decke des Foyers drehte sich gemächlich - ganz im Kolonialstil - ein Ventilator. Das Licht spiegelte sich im Schwimmbecken. Ab und zu erschienen darin die ertrunkenen Männer. »Nein, sie sind nicht tot«, flüsterte die Frau mir ins Ohr. »Sie sind nur ins Wasser gefallen und konnten sich sofort, wenn auch tropfnass, ans Ufer retten.«
    Um 21 Uhr hatte Rei sich mit der Unbekannten getroffen. Ich hatte schon lange nicht mehr daran gedacht, aber nun fiel es mir plötzlich ein.
    »Sie sind gar nicht ertrunken? Und was ist aus dem brennenden Schiff geworden?«, fragte ich die Frau.
    »Das Schiff hat nicht gebrannt«, erwiderte sie. »Es ist nur gekentert. Direkt vor der Küste. Wie sollte dabei jemand ums Leben kommen? Das wäre fast unmöglich.«
    »Aber ich habe es doch gesehen.«
    »Vielleicht hast du dir nur gewünscht, dass so etwas geschieht?«
    Das kann nicht sein, wehrte ich mich und presste mir die Hand auf den Magen. Wieder dieser Schmerz. Die Frau, mit der Rei sich getroffen hatte. Sie schien etwas jünger zu sein als ich. Ihr hochgestecktes Haar gab ein Muttermal im Nacken frei. Man wünschte sich, es zu berühren.
    Das Wasser im Becken rauschte und war im gleichen Augenblick von solch blendender Helligkeit erfüllt, dass ich nichts mehr sah. Rei ergriff die Hand der Frau, die seinen Druck sanft erwiderte. Die beiden unterhielten sich, aber ich konnte nichts hören. Ich war zu weit weg. Dennoch wusste ich, dass es Liebesgeflüster war. Das hatte ich vergessen, längst vergessen.
    »Wirklich?«, fragte die Frau erbarmungslos. »Hattest du es wirklich vergessen?«
    Mein Magen schmerzte heftig. Das Licht aus dem Becken wurde so grell, dass es kaum zu ertragen war.
    Es war mitten in der Nacht.
    Laute erfüllten das Hotel. Die Wellen rauschten. Lastwagen donnerten die Landstraße entlang. Ein Stuhl quietschte, als der müde Nachtportier sich darauf fallen ließ. Zahllose Insekten sirrten vor dem Fenster.
    Den Kopf auf das Kissen gelegt, versuchte ich, mich zu erinnern. An das, was ich vergessen hatte. An das, was ich hatte vergessen wollen.
    Kei! Reis Stimme, die meinen Namen rief. Sooft er mich rief, schmerzte es irgendwo in meinem Körper. Seine Stimme verletzte mich wie ein stumpfes Messer. Ich hatte Rei bis zur Besinnungslosigkeit geliebt. Ich war besessen von ihm. Wenn wir erst verheiratet wären und ein Kind hätten, so hatte ich gehofft, würde meine Besessenheit sich im Alltag auflösen. Aber sie tat es nicht.
    Die Frau hatte ein blasses Gesicht. Vielleicht war ihre Verabredung ja doch nur geschäftlich. Um 21 Uhr. So stand es auf dem Zettel. Rei trug sein dunkelgrünes Jackett. Sie ein Kleid aus schmiegsamem Stoff. Es schien, als ob sich alles an ihr - sie selbst, ihr Kleid, sogar ihre Frisur - zu ihm hinneigten. Wie eine Wasserpflanze auf dem Grund eines Gewässers.
    Ich hatte Rei beschattet. Momo ließ ich bei meiner Mutter. Dann wartete ich vom frühen Abend an in einem Café in der Nähe vom Reis Firma. Kurz nach acht Uhr verließ er das Gebäude durch den Hauptausgang und ging geradewegs die Treppe zur U-Bahnstation hinunter. Ich rannte aus dem Café hinter ihm her. Nachdem er seine Monatskarte gezeigt hatte, passierte er die Sperre. Ich folgte ihm mit einer der Fahrkarten, die ich vorsorglich gekauft hatte. Ich hatte schon alle Fahrkarten für die U-Bahn und auch für eine Privatbahn, deren Bahnhof etwas weiter weg lag. Ich konnte meine Verfolgerin fast hören: Du bist ziemlich pedantisch, was? Allerdings war es nicht ihre, sondern meine eigene Stimme.
    Rei stieg in die Bahn. Ich huschte in den benachbarten Waggon. Die heftigen Seitwärtsbewegungen der U-Bahn brachten mich ins Schwanken. Ich spähte hinüber zu Rei, der direkt an der Plattform zwischen den beiden Waggons stand. Sein Blick war nach vorn gerichtet, und sein gerader Rücken bebte ein wenig.
    In einer der verchromten Haltestangen sah ich das länglich verzerrte Spiegelbild meines Gesichts.
    Anfangs waren es eindeutig meine Züge, die sich jedoch nach und nach in ein fremdes Gesicht verwandelten.
    Mir stockte der Atem.
    Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich verfolgt

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