Am Meer ist es wärmer
genauso.«
Die Stimme meiner Mutter klang sanft, dennoch nahm ich eine gewisse Anspannung darin wahr. Wahrscheinlich hatte ich sie damals auch verletzt.
»Möchtest du vielleicht von den Niboshi essen? Ich habe sie mit Seetang und Sojasoße gekocht. Ein paar werden deinem Blutdruck schon nicht schaden. Sie schmecken wirklich gut zu grünem Tee«, schlug ich vor, um wieder etwas Normalität einkehren zu lassen. In Tokio gab es ein alltägliches Leben, hinter dem man sich verstecken konnte. In Manazuru nicht.
»Ach ja, eine gute Idee. Ein paar esse ich«, sagte sie in gewohntem Ton, und wir beide schlürften vorschriftsmäßig unseren Tee.
Es war noch nicht spät.
Seiji wartete in der von der Straßenbeleuchtung erhellten Dämmerung.
»Seiji!«, rief ich und stürzte in seine Arme.
»Was ist denn mit dir los?«, wunderte er sich.
»Ich wollte dich unbedingt sehen.«
»Du bist aber heute ehrlich.«
»Das bin ich doch immer.«
»Wirklich?«, sagte er und strich mir mit der Fingerspitze übers Kinn. An diesem Abend begehrte ich Seiji heftig. Verlangen nach seiner Haut, seinem Geruch, seinen Bewegungen, nach allem an ihm erfüllte mich.
»Komm, wir gehen gleich ins Hotel, noch vor dem Essen«, sagte ich und nahm seine Hand. Trotz der Kühle war sie etwas feucht. Die Kakis färbten sich bereits orange. Momo hatte meine Mutter gefragt, ob sie eine pflücken dürfe. Aber meine Mutter hatte ihr abgeraten. »Sie können ziemlich bitter sein. Weißt du noch, vor langer Zeit hat Yukino einmal eine angebissen und sofort wieder ausgespuckt.«
Ungeduldig betraten wir das Hotel und nahmen ein Zimmer. Im Aufzug küsste ich Seiji.
»Was ist mit dir?«, fragte er und wich ein wenig zurück. Der Aufzug kam mit einem Rumpeln zum Stehen. Als die Tür aufging, sahen wir, dass über einer Zimmertür am Ende des Ganges ein Lämpchen leuchtete.
»Das ist unser Zimmer. Komm. Schnell.« Ich schob Seiji vorwärts. »Was ist nur los mit dir?«, fragte er noch einmal.
»Ich möchte es so gern. Ich will mit dir schlafen«, antwortete ich hastig.
»Du meine Güte«, murmelte er, während er sein Jackett auszog. Er hängte es ordentlich auf einen Bügel und strich die Schulterpartie zurecht. Ich ließ mich auf das große Bett fallen, dass es federte.
»Ich will, ich will«, sagte ich mehrmals laut, da meine Begierde, sooft ich es sagte, etwas nachzulassen schien. Die Wirkung war jedoch nur oberflächlich. Das hartnäckige Verlangen tief in meinem Inneren blieb.
»Geh nicht weg«, bat ich.
»Ich bin noch nie weggegangen«, erwiderte Seiji ruhig.
Ich war verwirrt. War es nicht Seiji gewesen, der fortgegangen war? Aber wer dann? Ich drückte mein Gesicht an seine Brust. Er streichelte mein Haar.
»Du bist heute so lieb«, sagte ich.
»Ja, weil du dich so danach sehnst.«
»Aber wenn wir es tun, sei bitte nicht so zart«, sagte ich rasch. Seiji drückte seinen Mund auf meine Lippen. Seine große Zunge drang in meine Mundhöhle. Sie war feucht und roch gut.
Ich saugte heftig daran.
Wir liebten uns leidenschaftlich, dennoch fühlte ich mich nicht befriedigt.
Auch wenn ich erschöpft war. Mit ernsten Gesichtern und ohne uns an den Händen zu halten, verließen wir das Hotel.
»Wollen wir Fleisch essen?«, fragte Seiji.
»Das Fleisch von Tieren, die in Wald und Feld herumlaufen, was?«
»Heute Abend sind wir ganz unkompliziert.« Seiji lachte.
Auch als wir in ein Lokal gingen und etwas bestellten, spürte ich noch diese Wildheit in mir. Zuerst goss ich mir ein volles Glas Mineralwasser ein und trank es gierig aus. Als das Wasser seinen Weg durch meinen Körper fand, fühlte ich mich wohler.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte er mich zum wiederholten Mal.
»Ich weiß auch nicht.«
»Wovor hast du Angst?«
»Angst? Ich?«
»Stimmt es nicht?«
Wortlos schaufelte ich mir das Essen in den Mund. Wenn ich einen Knochen abgenagt hatte, wusch ich mir in der Metallschale mit Wasser die Finger. Sie hinterließen nasse Flecken auf der Stoffserviette. Das schwere, scharfe Messer drang in das Fleisch ein und zerteilte es. Obwohl kein Geräusch dabei entstand, kam es mir laut vor.
»Schmeckt es dir?«
»Ja«, antwortete ich, noch immer aufgewühlt.
Mit einem Seufzer sah Seiji mir direkt ins Gesicht. Ich senkte den Blick und konzentrierte mich auf Messer und Gabel. Mit der Serviette wischte ich mir etwas Soße aus dem Mundwinkel. Die Stelle fühlte sich heiß an.
»Starr mich doch nicht so an«, sagte ich.
»Wovor hast du Angst,
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