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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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Totenname?«
    »Das haben sie nicht geschrieben.«
    Rei und ich waren damals durch eine Gasse gekommen, in der außergewöhnlich viele Katzen lebten. Auf Schritt und Tritt sprangen sie aus den Vorgärten oder der offenen Kanalisation hervor. Schwarze, weiße und gefleckte.
    »Wie Springteufel«, sagte ich, und Rei lachte.
    Wir waren auf dem Weg, um uns seinen Eltern als frischgebackenes Ehepaar vorzustellen. Rei erzählte mir, dass sie und seine jüngere Schwester die kleine Stadt an der steilen Küste der Inlandsee noch nie verlassen hatten.
    Sie servierten uns verschiedene einheimische Gerichte. Fisch aus der Inlandsee: als Sashimi  (*) , gegrillt oder gedünstet. Er schmeckte süßer als die Fische aus der Gegend um Tokio.
    Nachdem ich eine Weile schicklich mit untergeschlagenen Beinen dagesessen hatte, waren meine Füße derart eingeschlafen, dass ich unauffällig die Beine ausstrecken musste.
    Zwei Jahre später heiratete Reis jüngere Schwester und zog in eine Nachbarstadt. Bei der Hochzeit trug sie eine traditionelle Brauthaube, und ein älterer Mann sang volkstümliche Hochzeitsweisen. Rei und ich hatten die neugeborene Momo bei meiner Mutter gelassen, um an der Feier teilzunehmen. In der kurzen Zeit bis zu Reis Verschwinden bekam seine Schwester einen Sohn, seine Mutter starb, und im folgenden Jahr brachte die Schwester noch einen Jungen zur Welt. Es passierte eine Menge in dieser Zeit.
    »Ob Rei wirklich tot ist?«
    Ohne auf meine Frage einzugehen, bemerkte meine Mutter, dass ich nun auch schon graue Haare bekäme. Der Alltag überdeckte so vieles. Dinge, denen man nicht direkt ins Auge sehen wollte.
    »Warum schreibst du nicht mal einen Roman?«, fragte Seiji.
    »Ein paar Kurzgeschichten habe ich ja schon geschrieben, aber etwas Längeres? Ich weiß nicht.«
    Wir saßen in einem Café. Wir hatten schon ewig nicht mehr über berufliche Dinge gesprochen. Vielleicht seit fast zehn Jahren nicht, als ich meine ersten Texte veröffentlicht hatte.
    »Wie kommst du gerade jetzt darauf, dass wir wieder Zu sammenarbeiten könnten?«
    Ich hatte es die ganze Zeit vermieden, mit ihm zu »arbeiten«. Es gibt sicher Menschen, die es nicht stört, Liebe und Arbeit zu vermischen, aber ich gehöre nicht zu ihnen. Ich hatte angenommen, Seiji sei der gleichen Ansicht.
    »Eigentlich gibt es keinen besonderen Grund«, sagte er. »Nur...«.
    »Nur?«
    »Deine Texte gefallen mir ziemlich gut, Frau Yanagimoto.«
    Das Wort »ziemlich« versetzte mir einen unangenehmen Stich.
    »Aber warum gerade jetzt?«
    »Ich habe eigentlich immer wieder mal daran gedacht.«
    Sprich nicht wie ein Fremder, hätte ich beinahe gesagt. Doch im Grunde verhielt sich Seiji immer so. In den ganzen zehn Jahren hatte sich daran nichts geändert. Noch immer lachte er lautlos und sprach in diesem höflichem Ton mit mir.
    »Ist es aus mit uns?«, rief ich erschrocken. Ich geriet in Panik.
    »Aber nein«, antwortete er ruhig.
    »Ich habe nicht an Rei gedacht. Ehrlich, überhaupt nicht.« Ich schrie es fast.
    »Wirklich nicht?«
    Etwas sprühte, wie bei Momo. Wieder waren es keine Funken, aber auch Seijis Gefühle regneten wie kleine Geschosse auf mich herab.
    »Du hast einmal von deiner Eifersucht gesprochen.«
    »Eifersucht kann man es vielleicht nicht nennen.«
    »Was ist es dann?«, fragte ich. Einmal losgelassen, schossen mir Seijis Gefühle weiter entgegen.
    »Vielleicht habe ich einfach keine Hoffnung mehr.«
    Hoffnung? Ich verspürte einen Stich im Magen. Die Wörter »ziemlich« und »Hoffnung« verursachten den gleichen starken Schmerz.
    »Komm, wir gehen. Es ist so heiß hier. Gehen wir ein Stück an der frischen Luft«, schlug ich fast flehend vor. Seiji senkte den Kopf und öffnete seinen Terminkalender. Sein starres Profil war schön.
    »Seiji!« Leise rief ich seinen Namen und hakte mich bei ihm ein.
    »Nein.« Ich drückte meinen Kopf an seine Brust. »Verlass mich nicht. Bitte nicht.«
    »Habe ich je Anstalten gemacht, mich von dir zu trennen?«, fragte er und winkte ein Taxi herbei. Das Ende des Satzes »von dir zu trennen« ging im Lärm des Taxi unter, das neben uns anhielt.
    »Bahnhof Tokio«, wies er den Fahrer an.
    »Nein, nicht zum Bahnhof. Irgendwohin, wo es warm ist«, flüsterte ich Seiji ins Ohr.
    »Eben war dir doch noch zu heiß.«
    Erschrocken blickte ich ihn an. Er starrte zurück. Er war blass.
    Warum schlägst du mich mit Worten? Es war eine stumme Frage, die ich an seine Augen richtete.
    Weil ich verzweifelt bin, antworteten

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