Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Augenblick, den ich seit achtundvierzig Stunden habe. Den ganzen Mittwoch waren wir damit beschäftigt, uns auf den Sturm vorzubereiten, und gestern mussten wir den ganzen Tag aufräumen.»
«Ja, aber machen das denn nicht hauptsächlich die städtischen Räumtrupps?», erkundigte sich Miriam.
Der Chief stieß ein kurzes Lachen aus. «Gewiss, die machen die eigentliche Arbeit; umgestürzte Bäume wegräumen oder Wasserrohre reparieren. Der Polizei aber wird gemeldet, welche Straßen blockiert sind. Wir überprüfen die Meldungen und geben die Information an das Amt weiter, das die Reparaturen ausführen muss. Nehmen wir an, ein Schaufenster wird eingedrückt. Dann müssen wir Wache stehen, bis es mit Brettern zugenagelt worden ist. Oder nehmen Sie den Hafen: Zwei Polizeiboote haben vierundzwanzig Stunden am Tag die Vertäuungen kontrolliert und Boote gesucht, die sich losgerissen hatten. Wenn bei Verkehrsunfällen Menschen verletzt werden, müssen wir sie ins Krankenhaus schaffen. Zum Beispiel den alten Kestler, den sie gestern beerdigt haben. Da war es der Beamte vom Streifenwagen, der ihm die Medizin gebracht hat. Und in derselben Nacht noch mussten wir ihm den Krankenwagen schicken, der ihn ins Krankenhaus transportierte. Es fielen also für diesen Mann gleich zwei Polizeieinsätze an. Übrigens, rein aus Neugier: Warum wurde er gestern schon beerdigt? Ich meine, er ist Mittwochnacht gestorben, und ihr beerdigt ihn gleich am nächsten Tag. Gab es einen besonderen Grund, warum ihr nicht länger warten konntet?»
Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Wir begraben die Toten immer am nächsten Tag oder sobald es möglich ist. Sehen Sie, wir balsamieren sie nicht ein. Das ist bei uns so Tradition – weil Israel ein tropisches oder subtropisches Land ist, nehme ich an. Es müsste also einen besonderen Grund geben, wenn wir einmal länger warteten.»
«Sie halten keine Totenwache? Sie bahren Ihre Toten niemals auf, damit Familie und Freunde von ihnen Abschied nehmen können?»
«Nun ja», entgegnete der Rabbi, «das tun wir schon. Es gilt als eine gute Tat, die wir als mizwe bezeichnen. In den meisten Gemeinden gibt es eine Art Gesellschaft, die Chewra Kaddischa, die es übernimmt, den Leichnam zu waschen, ihn in Grabgewänder zu hüllen und anschließend die ganze Nacht bei ihm Wache zu halten und aus den Klageliedern vorzulesen.»
«Aber», wandte Chief Lanigan ein, «wie Sergeant Jenkins mir mitteilte, hat Joe Kestler ein fürchterliches Theater gemacht, als der Arzt von einer Autopsie sprach. Er behauptete, es sei gegen seine Religion.»
Der Rabbi nickte. «Ich hätte nicht gedacht, dass Joe Kestler sich so sehr um seine Religion bekümmert, aber es stimmt, auch das gehört zu unserer Tradition. Wir billigen keine Autopsie, es sei denn, alles deutet darauf hin, dass eine Untersuchung der sterblichen Hülle einem anderen Menschen das Leben retten kann oder dass dadurch etwas ganz Bestimmtes in Erfahrung zu bringen ist. Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen; den Körper aufzuschneiden heißt also, dieses Bild zu entweihen.»
«Das scheint mir aber gar nicht zu der Auffassung zu passen, dass der Körper nur Staub ist, wenn die Seele nicht mehr in ihm wohnt», meinte der Chief.
«Sie haben Recht, es passt nicht dazu.» Der Rabbi grinste. «Unsere Einstellung ist in dieser Hinsicht ein bisschen ambivalent. Doch unsere Tradition entspringt ja keinem geplanten System, wissen Sie, wo alles wie bei einem Puzzle zusammenpasst. Sie hat sich über die Jahrhunderte hinweg entwickelt. Die Abneigung gegen das Aufschneiden des Leichnams oder auch seine Verbrennung beruht auf dem Glauben einiger Juden, dass die Toten auferstehen, wenn der Messias kommt. Damit meinen sie die Auferstehung des Körpers und des Geistes. Und darum ist es notwendig, dass der ganze Körper beerdigt wird, damit er wieder ins Leben zurückkehren kann.»
«Das scheint mir aber unfair gegen diejenigen, die schon lange tot sind», sagt Lanigan. «Und gegen Soldaten, die im Krieg einen Arm oder ein Bein verloren haben.»
«Das ist es wohl.»
«Gab es eigentlich einen Grund, warum Sie dem alten Kestler nicht die letzte Ehre erwiesen haben?», fragte der Chief.
«Nein. Aber er kam ursprünglich aus Revere und gehörte immer noch der dortigen Synagoge an.»
«Was für ein Gesprächsthema!», tadelte Miriam. «Und das beim Kaffee!»
«Ich vermute, der Chief arbeitet auf einen ganz bestimmten Punkt hin», sagte ihr Mann mit leichtem
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