Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Mietvertrag. Der alte Mietvertrag lief aus, Aptaker schrieb an meinen Vater, und der verlängerte ihn zu denselben Bedingungen auf zehn Jahre. Ich hielt es für falsch, dass wir uns auf eine so lange Zeit festlegten, aber …»
«Aber der Mieter ist doch ebenso festgelegt, nicht wahr?»
«Nicht ganz, Rabbi. Wenn es sich bei dem Mieter um eine große Firma oder eine Einzelperson mit solidem finanziellem Hintergrund handelt, dann ist er natürlich ebenso festgelegt wie wir. Wenn es sich aber um einen kleinen Mann handelt – was sollen wir tun? Angenommen, der Drugstore will morgen schließen – sollen wir ihn verklagen? Oder soll die Synagoge ihn auf zehn Jahre Miete verklagen, nur weil der Mietvertrag für alle folgenden Besitzer bindend ist?»
«Ich verstehe.»
«Aber ich stritt mich nicht gern mit meinem Vater darüber. Zum Schluss war er doch ziemlich hinfällig.»
«Ja, ich erinnere mich noch», antwortete der Rabbi. «Als ich ihn besuchte …»
«Aber das war immer nachmittags oder am Abend, Rabbi. Am Vormittag war er noch recht lebendig. Und da hat er natürlich die geschäftlichen Dinge erledigt.»
«Sie meinen, er hat sich tatsächlich ums Geschäft gekümmert, auch noch, als er schon bettlägerig war?»
«O ja!», sagte Goralsky. «Er hat vormittags bis zwölf Uhr Briefe und Anweisungen diktiert. Bis ein paar Tage vor seinem Tod.»
«Hat er eine Sekretärin im Haus gehabt?»
Goralsky lachte. «Vermutlich hat sie sich für seine Sekretärin gehalten. Im Grunde gehört sie zu unserem Steno-Pool. Ich habe sie jeden Morgen zu meinem Vater geschickt, und selbst wenn mein Vater nichts Geschäftliches zu tun hatte, konnte er sich doch mit ihr unterhalten. Alice Fedderman. Ihr Vater ist Mitglied der Synagoge. Möchten Sie vielleicht mit ihr sprechen?»
«Aber ja, falls das möglich ist.»
«Sicher.» Goralsky schaltete die Sprechanlage ein. «Rabbi Small möchte mit Alice Fedderman vom Steno-Pool über meinen Vater sprechen. Würden Sie sie ins Konferenzzimmer schicken? Sie ist doch abkömmlich – oder?»
«Ja, Sir.» Und wenige Sekunden später: «Sie kommt sofort.»
«Ich lasse Sie hinbringen, Rabbi.»
Als er kam, wartete sie schon auf ihn: ein schlankes junges Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, stark geschminkt mit Lidschatten, Eyeliner und Mascara. Die Lippen waren mit einer Art weißlichem Schimmer überzogen. Sie trug hohe Plateausohlen und einen sehr kurzen Rock, der bei übergeschlagenen Beinen eine Menge Schenkel sehen ließ. Rabbi Small glaubte sie schon bei verschiedenen Veranstaltungen für junge Leute in der Synagoge gesehen zu haben, aber vielleicht auch nicht – sie sahen einander alle so gleich.
«Hallo, Rabbi! Sie wollten mich wegen des alten Mr. Goralsky sprechen, deswegen habe ich gleich das Notizbuch mitgebracht, das ich immer benutzt habe, wenn ich bei ihm war.»
«Ich interessiere mich für einen Brief, den er an Mr. Aptaker, den Inhaber des Drugstore, schrieb …»
«Ach ja, wegen des Mietvertrags.» Sie lächelte. «Ich kann mich gut daran erinnern.»
«Wirklich? Aus einem besonderen Grund?», fragte der Rabbi.
«Na ja, es war schließlich kurz vor … also, erstens einmal ziemlich zum Schluss. Aber ich musste diesen speziellen Brief auch noch mehrmals schreiben. Es war so.» Sie beugte sich vertraulich vor. «Er sprach nicht mehr so gut, grammatikalisch, wissen Sie. Darum sagte er mir immer, was er schreiben wollte, und ich habe dann daraus einen Geschäftsbrief gemacht.»
«Ich verstehe.»
«Wir hatten diesen Brief von Mr. Aptaker bekommen, der um Verlängerung seines Mietvertrags bat. Mr. Goralsky sagte also, da er ein guter Mieter sei, wolle er ihm denselben Mietvertrag wie vorher geben, ohne Mieterhöhung. Ich schrieb daraufhin den üblichen Geschäftsbrief. Sie wissen schon: ‹ In Beantwortung Ihres Schreibens vom Zwanzigsten habe ich unsere Anwälte angewiesen, einen Mietvertrag mit denselben Bedingungen wie in dem gegenwärtigen zu entwerfen. Bei Erhalt der Formulare wollen Sie bitte beide Ausführungen unterzeichnen und sie mir zur Gegenzeichnung zurückreichen.› Eben wie üblich. Aber als ich den Brief getippt hatte und ihn Mr. Goralsky zur Unterschrift vorlegte, hat er sich irgendwie über die Formulierung aufgeregt. Ich glaube, er hatte einen schlechten Tag. Er sagte –», sie imitierte sein stark gefärbtes Englisch –, «‹Ich möchte, dass Sie ihm sagen, weil er ein so guter Mieter war und meinem Eigentum nie Schaden zugefügt hat und immer
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