Am Montag flog der Rabbi ab
ist vielmehr eine Lebensform und zudem irgendwie mit den Menschen selbst verflochten, mit den Juden als Volk. Und beides, die Religion und die Menschen, sind irgendwie mit Israel verbunden und insbesondere mit Jerusalem. Und das ist kein zufälliges historisches Interesse. Ich will damit sagen, es ist für uns nicht nur von Bedeutung, weil wir zufällig von dort kommen, sondern vielmehr, weil es der besondere, uns von Gott zugewiesene Ort ist.»
«Sie glauben daran, Rabbi?»
Der Rabbi lächelte wieder. «Ich muss es glauben. Es nimmt einen so großen Raum in unseren religiösen Überzeugungen ein, dass ich, wenn ich daran zweifelte, auch an allem Übrigen zweifeln müsste. Und wenn an dem Übrigen Zweifel bestünden, wäre unsere gesamte Geschichte sinnlos gewesen.»
Lanigan nickte. «Das klingt plausibel.» Er streckte ihm die Hand hin. «Ich hoffe, Sie finden dort das, was Sie suchen.» An der Tür hielt er inne. «Ach ja, wie kommen Sie eigentlich zum Flugplatz?»
«Ich denke, wir nehmen ein Taxi.»
«Ein Taxi? Aber das kostet Sie doch zehn Dollar oder noch mehr. Hören Sie, ich komme vorbei und fahre Sie zum Flughafen.»
Als er später Miriam davon erzählte, sagte er: «Merkwürdig, dass von all den Leuten, die mich besucht haben, ausgerechnet der einzige Christ angeboten hat, uns zum Flugplatz zu bringen.»
«Er ist wirklich ein lieber, guter Freund», meinte Miriam. «Aber die anderen dachten wahrscheinlich, du hättest bereits alles geregelt.»
«Trotzdem war er der Einzige, der daran gedacht hat zu fragen.»
7
Während sie seinen Mantel im Wandschrank in der Diele aufhängte, wanderten seine Augen durch das Zimmer. Er suchte irgendeinen Hinweis auf einen Mitbewohner – nach einer Pfeife im Aschenbecher, einem Paar Hausschuhe neben dem Sessel. Natürlich war er nach all den Jahren nicht etwa eifersüchtig auf seine ehemalige Frau, sagte sich Dan Stedman, sondern lediglich neugierig. Wenn sie sich einen Liebhaber nehmen wollte, so ging ihn das nichts an. Er hatte seit ihrer Scheidung bestimmt nicht im Zölibat gelebt. Sie bedeute ihm jetzt gar nichts mehr, redete er sich ein, und trotzdem hatte er den Besuch bei ihr sicherheitshalber bis heute aufgeschoben, seinem letzten Tag in den Staaten. Dabei hielt er sich schon eine Weile in der Stadt auf. Als er die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstieg, spürte er das aufflammende Interesse, die Erregung bei dem Gedanken, sie gleich zu sehen.
Sie folgte ihm ins Wohnzimmer. Sachlich stellte er fest, dass sie immer noch attraktiv war. Hoch gewachsen und schlank, das kurz geschnittene Haar hinter die Ohren zurückgebürstet, frische Farben – nein, sie sah nicht wie fünfundvierzig aus. Als sie um den Tisch herumging und sich ihm gegenüber hinsetzte, registrierte er, dass sie zu den wenigen Frauen gehörte, die Hosen tragen konnten. Sie stand sofort wieder auf und ging zum Sideboard.
«Einen Drink?», fragte sie.
«Einen kleinen Gin.»
«Mit Eis, glaube ich?»
«Richtig.»
Während sie einschenkte, musterte sie ihn ungeniert. Er sah immer noch hervorragend aus, fand sie, aber auch etwas vernachlässigt. Seine Hose war an den Knien ausgebeult – sie hätte dafür gesorgt, dass sie gebügelt wurde –, und die Manschetten wirkten ausgefranst – sie hätte das bemerkt und darauf bestanden, dass er ein anderes Hemd anzog, bevor er wegging.
«Ich hab unentwegt bei dir angerufen. Mindestens ein Dutzend Mal. Und dann hab ich beschlossen zu schreiben.»
«Ich war ein paar Tage bei Betty in Connecticut. Bin erst gestern Nacht zurückgekommen», schwindelte er.
«Wie geht’s ihr? Ich müsste ihr schreiben.»
«Es geht ihr gut.»
«Und Hugo?»
«Soweit alles in Ordnung, nehme ich an. Er ist jetzt im Ruhestand.»
«Ach ja, ich erinnere mich, du hast letztes Mal erwähnt, dass er das vorhat. Gefällt es ihm?» Sie reichte ihm seinen Drink und setzte sich ihm gegenüber auf einen geradlehnigen Stuhl.
Er grinste. «Nicht sonderlich. Er hatte sich eine Unmenge vorgenommen für diese Zeit. Aber du weißt ja, wie so was läuft. Solange er mit dem Tempel beschäftigt war, hatte er eine Ausrede, und jetzt weiß er nicht, wie er mit all den Projekten anfangen soll, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Für Betty ist es sogar noch schwieriger. Er ist ihr dauernd im Weg.»
«Armer Hugo.»
«Aber er hat eine neue Stellung angenommen, da wird’s nicht mehr so schlimm. In Massachusetts, Vertretung eines Rabbi, der auf ein paar Monate nach Israel geht. Es
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