Am Montag flog der Rabbi ab
geht, hat er niemand zum Spielen, und du bist den ganzen Tag angebunden. Sicher wirst du etwas tun wollen, während du hier bist. Ich habe eine Freundin in der Fürsorge-Abteilung vom Hadassa Hospital, die jammert immer nach freiwilligen Helfern. Die Arbeit wird dir bestimmt Spaß machen. Ich vereinbare einen Termin für dich.»
Sie erklärte ihnen, sie würde sie nicht eher verlassen, bis nicht alles geregelt wäre, sei aber überzeugt, das am nächsten Vormittag zu schaffen. Zum Glück stand in Jonathans Zimmer ein zweites Bett, obwohl Gittel beteuert hatte, das sei keine große Affäre. In Israel konnte man sich immer arrangieren; notfalls hätte sie auf dem Sofa oder sogar auf dem Fußboden geschlafen.
Sie erzählte ihnen von ihrer Arbeit in Israel, von ihrem Sohn Uri, Miriams Vetter, der in der Armee war. «Groß und hübsch ist er wie sein Vater. Die Mädchen sind alle verrückt auf ihn. Ich kriege ihn kaum zu Gesicht, wenn er auf Urlaub nach Hause kommt.»
Sie bemerkte, dass dem Rabbi die Augen zufielen, und war sofort zerknirscht. «Da rede ich, und ihr brennt darauf, schlafen zu gehen.» Und irgendwie erstaunt: «Und ich bin auch ein bisschen müde. Wir gehen jetzt alle zu Bett, und morgen erledigen wir alles.»
Der Rabbi hatte den Eindruck, dass sie nur deshalb davon absah, darüber zu entscheiden, was er während ihres Aufenthaltes tun sollte, weil er Rabbiner und außerdem kein direkter Verwandter war. Aber er hatte nichts dagegen, zu Bett zu gehen, und schlief sofort fest ein.
Plötzlich wurde er durch einen lauten, dumpfen Schlag geweckt. Es war dunkel, und er tastete auf dem Nachttisch nach seiner Armbanduhr und dann nach seiner Brille. Er schaltete die winzige Bettlampe ein und sah, dass es zwölf Uhr war. Neben ihm bewegte sich Miriam unruhig, drehte sich aber dann auf die andere Seite und atmete weiter ruhig und gleichmäßig. Er knipste das Licht aus und versuchte, wieder einzuschlafen. Nachdem er sich ein paar Minuten hin- und hergeworfen hatte, wurde ihm klar, dass es sinnlos war. Er war hellwach. In Bademantel und Hausschuhen tappte er ins Wohnzimmer, nahm ein Buch aus dem Regal und setzte sich zum Lesen hin. Es war fast vier Uhr, als er wieder zu Bett ging.
Miriam und Gittel machten sich zum Einkaufen zurecht, als er am nächsten Morgen aufwachte. Es war spät, nach zehn Uhr. Die beiden waren bereits draußen gewesen und hatten Jonathan in den Kindergarten gebracht. Außerdem hatten sie vereinbart, dass er täglich hingehen würde.
Als sie die Wohnung verließen, rief er ihnen nach: «Vergesst den Wein für den Kiddusch nicht.»
«Steht auf unserer Liste», sagte Miriam. «Und was hast du vor?»
«Nur spazieren gehen und die Stadt ansehen.»
Bis er seine Morgengebete gesprochen und gefrühstückt hatte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Sie brannte grell herab auf die weißen Steine, sodass er die Augen zusammenkniff. Er durfte nicht vergessen, sich eine Sonnenbrille zu kaufen. Die Luft allerdings war noch frisch und kühl wie an einem schönen Aprilmorgen daheim; gut, dass er daran gedacht hatte, einen leichten Regenmantel überzuziehen.
Gemächlich schlenderte er dahin; sein Tempo unterschied sich merklich von dem der übrigen Straßenpassanten; es waren zumeist Frauen, die Einkaufsnetze voller Lebensmittel nach Hause trugen. Sein Weg führte durch Wohnstraßen mit einigen prächtigen neuen Häuserblocks; ab und zu gab es winzige Läden im Souterrain – ein Lebensmittelgeschäft, eine Kaffeestube, eine Bäckerei, eine Wäscherei.
Vor ihm schlenderten zwei Männer der Bürgermiliz genau wie er gemächlich dahin. Sie waren in mittleren Jahren und trugen eine Art Uniform: grüne Armbinden und Baskenmützen und lange, sehr abgetragene Militärmäntel. Die Hosen darunter waren dem Schnitt und Material nach offensichtlich zivil. Der eine trug ein altes Gewehr und der andere eine etwa sechzig Zentimeter lange Stahlstange, mit der verdächtige Päckchen in Abfalltonnen durchstochen wurden. Rabbi Small überlegte, ob sie das Gewehr wohl abwechselnd benutzten. Sie führten eine hitzige Diskussion und gestikulierten dabei ausdrucksvoll. Als er näher kam, hörte er den einen sagen: «Also ist Agnon weniger ein hebräischer Schriftsteller als vielmehr ein jiddischer, der in Hebräisch schreibt. Das ist ein Unterschied.» Er unterbrach sich, als der Rabbi neben ihnen stehen blieb, und betrachtete ihn misstrauisch.
«Können Sie mir bitte sagen, ob ich hier zum Stadtzentrum komme?»,
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