Am Montag flog der Rabbi ab
fragte er.
«Wohin wollen Sie denn?»
«Ich bin neu hier», erklärte der Rabbi. «Wo sind die Läden, das Geschäftsviertel?»
«Er meint Zion Square. Was möchten Sie denn kaufen?»
«Gar nichts. Ich möchte mir nur die Stadt anschauen.»
«Ach so. Geradeaus kommen Sie zur King George Street, dann biegen Sie links ab in die Ben Yehuda Street. Das ist das Geschäftsviertel.»
Enge, überfüllte Straßen mit kleinen Läden, im Vergleich zu Amerika unattraktiv. Sie ähnelten den Geschäften, die er in kleinen Fabrikstädten von New England gesehen hatte und in denen die Schaufensterauslagen offenbar seit der Eröffnung nicht gewechselt worden waren. In schmalen Gässchen oder zwischen zwei Gebäuden und selbst auf den etwas verbreiterten Stellen des Gehsteigs waren Stände, an denen die verschiedensten Artikel feilgeboten wurden – Bleistifte, Rasierklingen, Geldbörsen, Regenschirme, Feuerzeuge. Es gab mehrere Kioske an der Straße, in denen Lotterielose verkauft wurden. In Hauseingängen und auf den Gehsteigen saßen alte Männer an die Mauern gelehnt und riefen Zeitungen aus.
Überall waren junge Männer und Frauen in Uniform zu sehen. Viele der Männer trugen Selbstladegewehre, entweder an Lederriemen über der Schulter oder wie Regenschirme unter den Arm geklemmt oder an den Abzugsbügeln. Sie sahen nicht wie Soldaten aus, fand er, obwohl sie jung und kräftig waren. In ihrer Haltung lag eher etwas Ziviles, Sachliches, als übten sie irgendeinen Beruf aus, der eine Uniform erforderte, zum Beispiel als Busfahrer.
Der Rabbi entdeckte einen Hutladen und wollte sich eine zweite Jarmulke als Reserve kaufen. Es gab sie in allen Andenkenläden in rotem und blauem Samt mit Gold- und Silberstickerei, aber er wollte ein einfaches schwarzes Käppchen haben. Der Besitzer war ein hoch gewachsener Mann mit langem Bart. Sein Sohn in Khaki half während seines Urlaubs im Geschäft, das automatische Gewehr deutlich sichtbar auf einem Regal hinter dem Ladentisch. Mehrere Männer, offensichtlich keine Kunden, unterhielten sich über arabische Terroristen und über Gegenmaßnahmen, die die Regierung ergreifen sollte. Sie sprachen Jiddisch, das der Rabbi nicht fließend beherrschte, dem er jedoch folgen konnte. Der Sohn des Besitzers erkundigte sich nach einer Minute, was er wünsche, legte zwei Stapel schwarze Jarmulkas auf den Ladentisch, die einen kosteten zwei, die anderen vier Pfund, und beteiligte sich dann wieder an der Unterhaltung, die er abermals gerade so lange unterbrach, um den Schein des Rabbis entgegenzunehmen und ihm das Wechselgeld herauszugeben.
Eine merkwürdig simple und nach amerikanischen Begriffen sogar primitive Transaktion, fand der Rabbi: ein Austausch von Geld und Ware ohne jede Formalität, kein Einpacken, keine Quittung. Es gab keine Registrierkasse; der junge Mann hatte das Wechselgeld aus einer Schublade unter dem Ladentisch geholt. Er sagte nicht einmal das übliche «Danke», doch als es der Rabbi tat, antwortete er automatisch «Bewakascha» – bitte sehr.
Rabbi Small setzte seinen Spaziergang fort, blieb vor den Schaufenstern stehen und rechnete mechanisch die Preise in amerikanische Dollars um. Keine der gewundenen Straßen schien die anderen im rechten Winkel zu kreuzen, und plötzlich fand er sich auf einem Markt mit engen Standreihen, vorwiegend Obst und Gemüse, mitunter allerdings auch Fisch und Fleisch und sogar Textilien, an denen Araber, bärtige Juden, Frauen ihre Waren anpriesen – schreiend, feilschend, gestikulierend. Außerdem gab es bescheidene Vorläufer der Warenhäuser – Stände, an denen man Kämme, Notizbücher, Nähnadeln, Papiertaschentücher oder Regenmäntel kaufen konnte, sofern einer von dem halben Dutzend vorhandenen die passende Größe hatte.
Der Rabbi bog in eine Seitengasse ein und gelangte auf einmal in ein Wohnviertel mit alten ein- bis zweistöckigen Häusern, in denen offenbar vorwiegend Orthodoxe ansässig waren. Die Männer begannen aus ihren Läden oder Arbeitsräumen heimwärts zu strömen, um sich auf den Sabbat vorzubereiten. Auf den Höfen spielten Kinder, Jungen mit kahl geschorenen Köpfen, bis auf die Ringellocken an Schläfen und Ohren. Alle trugen Käppchen und hatten Mühe, sie nicht beim Laufen oder Kicken nach dem Fußball zu verlieren. Die kleinen Mädchen spielten auf einer Seite für sich Seilspringen oder Himmel und Hölle. Gelegentlich knatterte ein Motorrad, was überhaupt nicht in die gesamte Atmosphäre passte, und ein junger
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