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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Schleier an. Wovor haben die Angst? … Wie können Menschen nur so leben? … Sieh mal, da ist ein Schuhladen. Bleib lieber nicht stehen, Katz, sonst musst du vielleicht noch was kaufen … diesen Mist … wer kauft schon so was? … Wie können sie bloß existieren? … Schau nur, da verkauft einer türkischen Honig … Wann hast du zuletzt türkischen Honig gegessen, Katz? … So was nennen sie vermutlich einen Fleischerladen … Sieh dir das an, alles offen … Von Hygiene haben sie wohl noch nie was gehört …»
    Endlich kamen sie zur Klagemauer. Sie überschauten den Platz davor, und Markevitch sagte: «Also das ist schon was. Ich nehme an, Sie kommen praktisch jeden Tag her, was, Rabbi?»
    «Nun, ich war ein paar Mal hier.»
    «So was – ich hätte gedacht, Sie sind jeden Tag hier, beten, meine ich.»
    «Nein, Mr. Markevitch. Ich halte das nicht für notwendig. Gebete sind auch nicht wirksamer, wenn man sie vor der Klagemauer spricht.»
    «Können wir einfach hingehen?», erkundigte sich Katz. «Oder müssen wir eine Eintrittskarte kaufen oder eine Spende geben – der Mann dort am Tisch …»
    «Der verteilt nur Jarmulkas aus Papier für diejenigen, die keine Kopfbedeckung haben. Nein, Sie können direkt hingehen. Es kostet nichts.»
    «Stell dir vor, Katz, gebührenfrei. Nicht mal ’ne Geldspende. Hören Sie, Rabbi» – zum ersten Mal senkte Markevitch die Stimme –, «wir haben überlegt, ob Sie nicht für uns ein Gebet sprechen könnten. Was wir uns dabei vorgestellt haben, war ’ne besondere Art von Gebet, in dem Sie vielleicht um den Erfolg unserer Unternehmung bitten könnten …»
    «Vor allem die Finanzierung», sagte Katz.
    «Richtig, vor allem die Finanzierung, aber ich hab an den ganzen Schmonzes gedacht.»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Bei uns ist jeder Mensch auf sich gestellt, Mr. Markevitch. Wir Juden haben keinen Vermittler zwischen dem Menschen und Gott. Sie können sich ganz dicht an die Mauer stellen, wenn Sie meinen, das ist besonders wirksam, und sagen, was Sie im Sinn und auf dem Herzen haben.»
    «Aber ich kann kein Wort Hebräisch, außer vielleicht ein paar Gebete, zum Beispiel den Segen für Brot oder Wein …»
    «Ich bin sicher, Gott wird es auch dann verstehen, wenn Sie englisch sprechen oder wenn Sie es sogar nur denken.»
    «Glauben Sie nicht, dass er was dagegen hätte, wenn sich’s um ’ne Geschäftsangelegenheit dreht? Letzten Endes ist es ja zum Wohl des Landes.»
    Der Rabbi lächelte. «Die Menschen bitten um alles Mögliche. Manche schreiben sogar kleine Zettel und schieben sie zwischen die Steine. Sehen Sie?»
    «Ja.» Markevitch schaute sich um, und als er merkte, dass man ihn nicht beobachtete, zog er einige der zusammengerollten Papierfetzen heraus. Er entrollte einen und gab ihn dem Rabbi, da er in Hebräisch war. «Was steht drauf?»
    Der Rabbi las: «Ich habe sechs Töchter, und meine Frau geht schwanger mit einem siebenten Kind. Lieber Gott, mach, dass es ein Junge wird, damit er nach unserem Tod das Kaddisch für mich und meine Frau sprechen kann.»
    Markevitch entrollte einen zweiten Zettel, und der Rabbi las und übersetzte: «Meine Frau ist krank. Sie ist eine Last für sich und für mich. Lieber Gott, nimm sie entweder zu dir oder mach sie gesund.»
    Markevitch schüttelte den Kopf und schnalzte leise, womit er sein Mitleid ausdrücken wollte. Er fühlte sich gezwungen, sein Verhalten zu rechtfertigen. «Nicht, dass Markevitch neugierig ist, Rabbi. Er will sich nur ganz allgemein ein Bild machen.» Er entrollte den dritten Zettel. «Oh, der hier ist englisch geschrieben, das ist schon besser.» Und er las laut vor: «American Telefone –52, IBM –354, Chrysler –48, General Motors –81. Ich bitte um keine Reichtümer, sie sollen nur um so viel steigen, lieber Gott, dass ich aussteigen kann.»
    Er rollte die Zettel wieder sorgfältig zusammen und schob sie in einen Mauerspalt. «Der Versuch lohnt sich, Katz. Gib mir einen Bleistift und ein Stück Papier.»
    Der Rabbi wartete, während sie ihre Bitte hinkritzelten und ebenfalls zwischen zwei Steine steckten. Sie standen vor der Mauer, murmelten die paar hebräischen Brocken, die sie kannten. Obwohl er sich etwas im Hintergrund hielt, entging ihm nichts von dem, was V. S. Markevitch vortrug. Er sprach den Segen für Wein, den Segen für Brot, und dann nach einer Pause sagte er die vier Fragen auf, die das jüngste Kind beim Seder zu Pessach stellt. Danach stand Markevitch ein paar Minuten

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