Am Montag flog der Rabbi ab
nützlich, in Israel aber sinnentleert. Ich sah das in den erstaunten Augen von Itzicals kleinem Jungen, als er beobachtete, wie ich in meinem Schal und den Gebetsriemen betete. Mir einen schwarzen Lederriemen auf eine bestimmte Weise um den Arm und um die Stirn zu binden, ein spezielles, mit Fransen besetztes Tuch umzulegen und dann Worte zu sprechen, die Jahrhunderte zuvor für mich geschrieben worden waren – das hatte in Amerika seinen Sinn, weil es mich daran erinnerte, dass ich Jude bin. Doch hier in Israel brauche ich nichts dergleichen. Was ist meine Arbeit in Barnard’s Crossing anderes, als religiösen Hokuspokus zu zelebrieren – Menschen zu trauen, zu beerdigen, bei allen möglichen Gelegenheiten das passende Gebet zu sprechen? Genau das haben Markevitch und Katz heute von mir erwartet.»
Die Hände in den Hosentaschen vergraben, begann er auf und ab zu laufen.
«Aber sie sind doch nicht typisch für die Gemeinde.»
«Zugegeben, sie sind beide etwas extreme Fälle, trotzdem unterscheidet sich ihre Einstellung nicht allzu sehr von der der meisten Gemeindemitglieder.»
«David, hast du dich entschieden? Hast du endgültig beschlossen, dass du deinen Beruf als Rabbi aufgeben willst?»
«Nein … ich weiß es nicht», sagte er unglücklich und starrte niedergeschlagen auf den Fußboden. «Aber …»
«Aber du möchtest wissen, wie ich dazu stehe? Also – ich habe dich geheiratet, bevor du Rabbi warst, und wenn du im Seminar durchgefallen wärst, hätte ich mich nicht scheiden lassen. Trotzdem – irgendwie musst du ja Geld verdienen. Was würdest du tun?»
«Ach, einen Job könnte ich immer kriegen.» Er sah auf und seine Stimme klang wieder heiter. «Oder vielleicht könnten wir in einen Kibbuz gehen. Oder ich könnte unterrichten. Oder für eine Zeitung schreiben. Mein Hebräisch ist recht gut. Natürlich müssten wir uns einschränken, uns an einen niedrigeren Lebensstandard gewöhnen. Du müsstest dir eine Arbeit suchen, für die du bezahlt wirst …»
«Das würde mich nicht stören. Ich könnte sogar im Krankenhaus bleiben. Die anderen in der Abteilung werden nämlich bezahlt. Aber vielleicht dauert es ein Weilchen, bevor ich anfangen könnte.»
«Ach?»
«Ich habe mich heute im Hospital beurlauben lassen und bin selber zum Arzt gegangen.» Sie zögerte. «Ich – ich erwarte nämlich ein Kind, David.»
23
Sie trafen sich wie üblich in der Hotelhalle, bevor sie zum Dinner in den Artist’s Club gingen, und Roys erste Worte waren: «Ich hab morgen ’ne Prüfung, deshalb muss ich früh nach Hause.» Ähnliche Ankündigungen hatte er jedes Mal gemacht – dass er müde sei und zeitig zu Bett gehen wolle; dass er am nächsten Morgen ganz früh eine Vorlesung oder am gleichen Abend spät noch eine Verabredung habe – alle möglichen Ausreden, um sofort nach dem Dinner aufzubrechen. Und jedes Mal war Dan enttäuscht und sogar etwas gekränkt gewesen, hatte sich jedoch wohlweislich gehütet, das zu zeigen. Er hielt es für wichtig, dass Roy sich absolut frei fühlte, und war fest entschlossen, nicht die Rolle des gestrengen Vaters zu spielen. Wenn wir Freunde sein wollen, sagte er sich, muss er dasselbe Bedürfnis haben, mit mir zusammen zu sein, wie umgekehrt.
Er hatte versucht, Roy zum Reden zu bringen über sein Studium, mit wenig oder gar keinem Erfolg. «Dieselbe Leier wie in den Staaten. Vorlesungen … Kurse … Wenn du einen interessanten Professor erwischst, hast du Glück gehabt. Dann vergeht die Zeit ein bisschen rascher. Die meisten machen gerade nur das unbedingt Notwendige.»
Er hatte versucht, ihm von seiner Arbeit zu erzählen, von Interviews, die er auf Tonband genommen hatte, von seiner ganzen Konzeption. Die Reaktion war minimal.
Er hatte versucht, Roy nach seinen Freunden zu fragen und sogar angeboten, einen oder zwei mit zum Dinner einzuladen.
«Ach, die meisten haben ziemlich viel zu tun.»
«Dafür sind ja keine besonderen Vorbereitungen nötig. Ruf mich einfach an.»
«Schön, ich werd dran denken.»
Vielleicht empfand Roy sein Interesse als Einmischung in seine Angelegenheiten? Deshalb war er an diesem Abend entschlossen, das Gespräch in neutralen Bahnen zu belassen und sich nach seinem Sohn zu richten. Schweigend gingen sie zu dem Restaurant, und erst dort sagte Roy schließlich: «Nicht schlecht hier.»
Dan pflichtete ihm bei und meinte, wenn man die Lage, den Service, die Qualität des Essens bedenke, finde er es genauso gut wie jedes andere in
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