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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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direkt hier in Jerusalem und ist immerhin Rabbi. Und warum hat er sich so gehabt, wie sich’s darum drehte, für uns ein Gebet zu sprechen? Schließlich ist das sein Beruf, oder etwa nicht? Für mich hat’s so ausgesehen, als ob ihm das ganze Metier zum Hals raushängt.»
    «Er ist doch auf Urlaub. Der Beruf als Rabbi ist genau wie jeder andere. Du fährst weg, du willst deine Ruhe davor haben.»
    V. S. sah ihn scharf an. «Bist du sicher, dass es ein Urlaub ist?»
    «Was denn?»
    Markevitch senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern, das von jedem Passanten im Korridor durch die geschlossene Tür deutlich gehört werden konnte. «Vielleicht hat er nicht vor, zurückzukommen. Vielleicht plant er, hier zu bleiben. Deshalb wollte er kein Gebet für uns sprechen. Als wären wir nicht mehr seine Gemeinde. Erinnere dich, wie er im Café darauf bestanden hat zu bezahlen. Ich frag dich, wann steckt ein Rabbi jemals die Hand in die eigene Tasche? Weißt du noch, was er gesagt hat – wir wären die Gäste, und er ist ortsansässig? Erinnerst du dich?»
    Katz nickte zustimmend. «Da hast du schon Recht – da ist was dran.»
    Markevitch leerte sein Glas und strahlte vor Bewunderung über seinen Scharfsinn. «Merk dir meine Worte, Katz, er kommt nicht zurück. Und ich werd dir noch was sagen – wenn er nicht zurückkommt und Rabbi Deutch bleibt, hat V. S. Markevitch jedenfalls deswegen keine schlaflosen Nächte.»
     
    «Na, wie ist es gegangen?», erkundigte sich Miriam.
    Der Rabbi antwortete nicht sofort. Stirnrunzelnd suchte er nach den richtigen Worten. «Weißt du, es ist schon sonderbar», sagte er schließlich. «Du lebst eine Weile hier – und das braucht nicht einmal lange zu sein – und beginnst dich als Einheimischer zu fühlen, zumindest Touristen gegenüber. Sie irritieren dich, es stört dich, da sie das, was sie sehen, nicht begreifen. Ihre Gönnermiene stört dich, es stört dich, wenn sie Vergleiche mit Amerika ziehen, ob sie sie nun laut äußern oder ob du sie nur unausgesprochen spürst; ihre Einstellung stört dich, dass ihnen das Land gehört, weil sie Geld gespendet haben …»
    «Du sprichst wirklich wie ein Einheimischer.»
    «Das stimmt wohl. Vielleicht fange ich an, wie sie zu denken und zu empfinden.»
    Sie stand auf und ging zum Tisch hinüber, wo sie sich mit den Büchern, der Blumenvase, den Aschenbechern zu schaffen machte. Sie kehrte ihm den Rücken zu, als sie sagte: «Ich habe den Eindruck, David, als ob du andeuten willst, dass du gern hier bleiben möchtest.»
    «Ich glaube schon, dass ich das möchte», entgegnete er ruhig. «Zumindest eine Zeit lang. Hättest du was dagegen?»
    «Ich weiß nicht. Das kommt ganz darauf an. Was würdest du tun – ich meine, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen? Hier kannst du dich nicht als Rabbi betätigen.»
    «Ich weiß.»
    Sie wandte sich um und sah ihn an. «David, hast du deinen Beruf als Rabbi satt? Willst du ihn aufgeben?»
    Er begann zu lachen. «Komisch – Rabbi kommt ins Heilige Land und verliert seinen Glauben. Natürlich wusste ich, schon bevor ich aufs Seminar ging, dass ich kein Rabbi sein konnte, wie es mein Großvater in seinem stetl in Russland oder später in der orthodoxen Gemeinde in Amerika war. Er war ein Richter und benutzte seine Kenntnis des Talmud, um die Probleme seiner Gemeinde zu lösen. Das war in Amerika unmöglich. Aber dass ich ein Rabbi wie mein Vater werden könnte, glaubte ich schon. Er leitete seine Gemeinde nach den Grundsätzen des Judaismus und bewahrte sie davor, in einer christlichen Umgebung ihrem Glauben abtrünnig zu werden. Dazu gehörten gewisse traditionelle Praktiken wie etwa Gebete zu feststehenden Tageszeiten, was zwar nicht in die moderne Welt passte, aber den Vorzug hatte, uns weiterhin von unseren Nachbarn zu unterscheiden, und daher als Bindekraft wirkte. Ja, und seitdem ich hier in Israel bin, sehe ich darin immer mehr die religiösen Bräuche des Exils, des Galut. Ich spürte den Geist des Sabbat am meisten an unserem ersten Tag, als ich nicht in die Synagoge ging, und dann wiederum in dem areligiösen Kibbuz. Sie hatten die ganze Woche hindurch schwer gearbeitet, und am Sabbat zogen sie frische Kleider an, feierten und ruhten sich aus. Das gab ihnen neue Kraft für die kommende Woche. Irgendwie fand ich, so sollte es ursprünglich sein. Es schien mir, als seien unsere traditionellen Bräuche hier, in unserem eigenen Land, zu einer Art Hokuspokus geworden, in der Diaspora zwar durchaus

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