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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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miteinander verbracht haben? Einen ganzen Tag. Ich verbrachte ein paar Stunden mit ihr und ihren Eltern in ihrer Heimatstadt Belvedere in Kent, wo ich die Zustimmung ihres Vaters zur Heirat erhielt, und danach verbrachten wir einen glücklichen Tag alleine miteinander, bevor sie zum College zurückmusste. Mit jedem Augenblick in ihrer Nähe war ich überzeugter, die richtige Wahl getroffen zu haben.«
    Der Bischof sollte das letzte Wort haben.

Die letzte Hürde
    Elisabeth MacLaren wurde in eine Familie von Bergleuten hineingeboren und verbrachte ihre Kindheit in Nordostengland, bis Mr MacLarens Suche nach neuer Arbeit die Familie nach Kent in Südengland verschlug. Bettys Vater hatte durch eine schwere Verletzung im Kampf an der Sommes im Ersten Weltkrieg ein Auge verloren und war auf der linken Körperhälfte gelähmt. Ansonsten war das Vorhaben der Tochter, mit einem jungen Mann, den sie kaum kannte, fast bis an den Nordpol reisen zu wollen, das Spektakulärste, was sich je in Jacks zukünftiger Schwiegerfamilie MacLaren zugetragen hatte. Diese Hürde würde wohl die schwierigste sein.
    »Soso, die Eskimos«, murmelte Mr Andrew MacLaren, als er »Bettys jungen Mann«, wie er in familiären Kreisen bis dahin bezeichnet wurde, bei der ersten Begegnung mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis musterte. »Sie dürfen sich übrigens mit Keksen bedienen. Milch in Ihren Tee?« Die zwei Männer saßen spätnachmittags im Halbdunkel des kleinen Wohnzimmers bei MacLarens zu Hause. Mr MacLaren zupfte nervös an den Fusseln einer Tweedjacke, die seinen korpulenten Umfang vorne nicht ganz bedeckte und deshalb immer offen blieb. Es war Jack nebenbei aufgefallen, dass die Knöpfe vorne unbenutzt waren.
    »Warum müssen sie missioniert werden? Warum muss überhaupt jemand missioniert werden?« McLaren sprach mit der derben Rauheit der schottischen Landschaft, in der er aufgewachsen war. Eine Rauheit, die ehrliche Antworten einforderte, aber nicht unfreundlich war.
    Es gab kein Thema, über das Jack inzwischen lieber redete als die Eskimos. Es war ihm im Vorfeld schon klar gewesen, dass er mit überzeugenden Gründen aufwarten musste, um den MacLarens die bevorstehende Entführung der Tochter in den entlegensten Teil des Planeten schmackhaft zu machen. Er rührte seinen Tee nachdenklich um und blickte konzentriert auf den Silberlöffel, den er in der Hand hielt.
    »Ich habe genug Milch in meinem Tee, danke, Sir.« Er zögerte, holte tief Luft.
    »Irgendwo anfangen«, dachte er bei sich.
    »Eine gute Frage, Sir. Weil sie seit Jahrhunderten in jeder Hinsicht in einer stockdunklen Finsternis leben und sich nach Licht sehnen.«
    Das zumindest war ein Gefühl, das der Kriegsveteran MacLaren gut kannte. Äußerlich wirkten seine Augen noch intakt. Erst beim näheren Hinschauen sah man, dass kein Licht aus dem einen leuchtete und dass ein Mundwinkel herunterhing. Es stieß Jack für einen kurzen Moment seltsam auf, in ein Gesicht zu blicken, das nur zur Hälfte lebte.
    »Es herrscht dort eine verheerende soziale Notlage, Mr MacLaren, die Menschen leben unter primitivsten Bedingungen und sie fühlen sich von der Welt im Stich gelassen. Das Klima hat ein Eigenleben wie in keinem anderen Teil der Welt. Ein Großteil der Energie verbraucht der Körper dort, um sich gegen die Kälte zu wehren. Temperaturen bis zu -50° im Winter. Das Leben der Eskimos hängt von den Wanderwegen der Karibuherden ab, die unberechenbar sein können. Wenn die Tiere eine andere Route nehmen als erwartet, kann dies den Tod eines ganzen Igludorfs bedeuten. Das Leben dort besteht nur aus Unsicherheit, ist ein Kampf auf Leben und Tod. Allein die Ortsnamen sprechen von einer erschütternden Hoffnungslosigkeit: ›Hunger-Bucht‹, ›Kap Sturm‹, ›Insel der Trostlosigkeit‹.«
    »Ja, ist alles interessant und sicher richtig«, unterbrach Mr MacLaren und drehte mit einer schroffen Bewegung an einem Knopf seiner Tweedjacke, »aber muss das unser Problem sein? Sie haben dort doch schon immer so gelebt. Können Sie nachvollziehen, dass ich nur mit dem größten Unbehagen Briefe für meine Tochter und Enkelkinder an eine Adresse in der ›Hunger-Bucht‹ richten würde?«
    Es fiel Jack auf, wie stark Andrew MacLarens schottischer Akzent noch war, trotz der langen Jahre in England.
    »Aber das wird nicht unsere Adresse sein, Sir«, entgegnete Jack energisch, »ich kann Ihnen versichern, dass …«
    »Lassen Sie mich ausreden, Mr Sperry. Was wollen Sie schon gegen

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