Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
das Wetter dort unternehmen? Und es gibt viele Völker auf der Erde, die leiden. Ganz abgesehen davon, dass wir selbst eine nicht geringe Portion Elend mitbekommen haben.«
Er deutete mit einer schlichten Handbewegung auf die gelähmte Seite seines Körpers. Ein Hauch von Schmerz und verdrängtem Trauma zeichnete sich kurz in seinem Gesicht ab. Erinnerungen, schaurige Albträume von eiskalten Nächten in den Schützengräben Frankreichs, vom Aufwachen in einem Kriegslazarett, von der Nachricht, dass die Wunden bleibende Schäden hinterlassen würden, vom ersten Blick in den Spiegel auf sein zerschmettertes Gesicht. Es war ein Schrapnell gewesen.
»Man kann Ihre Frage auch anders formulieren, Sir. Und zwar: Sollte all dieses Leiden umsonst gewesen sein?« Jacks Stimme war mitfühlend, überzeugend. Er erzählte von seinem Gang durch die Trümmer von Hiroshima, von dem Versprechen, das er vor seinem Gott abgelegt hatte.
»Das Warum des Leids werden wir wahrscheinlich nie erkunden, Mr MacLaren«, fuhr er nachdenklich fort, »aber durchlebtes Leid kann auch Kapital in den Händen Gottes sein, davon bin ich überzeugt. Zum Beispiel, indem wir anderen Menschen in ihrem Leid zur Seite stehen. Indem wir dafür sorgen, dass unser Leid nicht ohne positive Konsequenzen bleibt.«
Es wurde still. Mr MacLaren schaute an Jack vorbei in den leeren Raum. Jack konnte in der zunehmenden Dämmerung nicht ausmachen, wie seine Worte auf den leidgeprüften älteren Herrn wirkten. Er rückte mit seinem Stuhl etwas näher an ihn heran.
»Und es ist nicht so, dass wir den Eskimos einen Glauben aufzwingen, den sie nicht wollen. Wir können die Wetterverhältnisse zwar nicht ändern, aber wir können ihnen zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Wir können von einem Schöpfer erzählen, der auch für sie auf diese Welt gekommen ist und ein Leben anbietet, das selbst über den Tod hinausgeht. Das gibt ihnen Hoffnung. Und sie wollen Bescheid wissen. Dazu kommt, dass viele Weiße, die bisher dorthin gingen, sich nicht immer vorbildlich verhalten haben und sie mit ihrem Pelzhandel ausgebeutet haben. Man kann sich gar nicht ausmalen, was die Unterwanderung dieser Gegenden durch die moderne Zivilisation ausrichten wird. Ich möchte diesen Menschen zeigen, dass es auch andere weiße Menschen gibt, solche, die sie nicht nur zum eigenen Vorteil missbrauchen.«
»Nett, wenn die Eskimos erfahren, dass Gott sie liebt, Mr Sperry, aber was bringt es ihnen praktisch?«
Mr MacLaren drehte fleißig an seinem Knopf. Jack wunderte sich, dass er noch an der Jacke dranhing.
»Sie sollen erfahren, dass der Gott der Bibel nicht nur der Gott des weißen Mannes ist, Sir. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass sich die Bekanntschaft mit Gott in jeder Lebenslage, in jedem Lebensbereich, in jeder Kultur positiv auswirkt.«
Sein zukünftiger Schwiegervater wechselte rasch das Thema. Er mochte es nicht zu persönlich.
»Mich brauchen Sie nicht zu missionieren, Mr Sperry«, sagte er leicht eingeschnappt. »Zurück zu meiner Tochter. Sie sind ein sportlicher junger Mann. Sie haben Kriegsfronten erlebt und durchgestanden. Aber meine Tochter? Ist dieses Leben auch für sie zumutbar?«
»Gibt es irgendeinen Ort auf dieser Welt, an dem das Leben zumutbar ist? Ich bin kein leichtfertiger Abenteurer, Sir. Eine lange Bedenkzeit ging dieser Entscheidung voraus, bevor die Würfel endgültig gefallen sind. Und ich werde alles daransetzen, dass es Ihrer Tochter gut geht, glauben Sie mir. Sie hat Zeit, die Entscheidung genau zu prüfen. Denken Sie bitte nicht, dass die Eskimos wilde Barbaren sind, die Missionare als Hauptgang beim Festmahl verspeisen.«
Mr MacLaren schmunzelte kurz, lehnte sich in seinem Sessel zurück und schlürfte leise seinen Tee.
»›Ihr werdet meine Zeugen sein bis an das Ende der Erde‹«, zitierte Jack mit Ehrfurcht in der Stimme, »die allerletzten Worte unseres Herrn, bevor er in den Himmel aufgefahren ist. Mr MacLaren, wenn die Arktis nicht ›das Ende der Erde‹ bedeutet, welcher Ort sonst?«
Es war wieder still im Raum. Jack fragte sich, ob sein Gesprächspartner noch wach war.
»Wissen Sie, Mr Sperry, warum wir uns so gefreut haben, dass unsere Tochter Krankenschwester lernt?« McLaren wartete nicht auf eine Antwort.
»Weil ich hoffte, sie würde mich im Alter pflegen. Aber gut, ich will Ihnen kein schlechtes Gewissen machen, nur weil Sie meine Tochter heiraten wollen. Wir werden Betty keine Steine in den Weg legen.«
Er trank seinen Tee
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