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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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die Nahrungskette und bleibt, wenn das Fleisch nicht gekocht wird, erhalten. Regelrechte Nährstofflieferanten. Wären ihre Vorfahren keine ›Rohfleischesser‹ gewesen, würde es die Eskimos als Volk heute gar nicht geben.
    In dieser Hinsicht ist der Einbruch unserer sogenannten Zivilisation für sie absolut kein Segen. Sie fangen an nach unserem Vorbild ihr Fleisch zu kochen und zu braten und werden krank. Viele sterben an Skorbut.«
    Jack studierte Atlanten, las Bücher von Polarforschern und Missionaren und sammelte so viel Lebensgefühl für eine fremde Existenz, wie man es eben aus der Ferne an einem Schreibtisch tun kann. Ein Blick auf die Landkarte zeigte, dass sich das Gebiet der Eskimos von der Tschuktschen-Halbinsel Nordostsibiriens über die Beringstraße und die arktischen Regionen Alaskas und Kanadas bis nach Grönland erstreckte. Obwohl ihre Siedlungsgebiete geografisch weit auseinander lagen, hatten sie eine bemerkenswert einheitliche Kultur- und Sprachverwandtschaft. Ihre Zahl im gesamten Arktisgebiet wurde auf etwa 10 000 geschätzt.
    Aber es waren nicht nur kulturelle Details, die Jack faszinierten.
    »Was für Menschen müssen das sein, die es fertigbringen, jahrhundertelang in diesem unmenschlichen Klima eine Existenz zu bestreiten «, schrieb er in sein Tagebuch. »Sie haben nicht einmal Häuser. Nur Tierhäute und Schnee. Leben das halbe Jahr über in kompletter eiskalter, gottverlassener Dunkelheit. Lebensfeindlicher geht es nicht. Sie bringen aber den schlimmsten Widrigkeiten zum Trotz Generationen um Generationen von Kindern auf die Welt und bauen eine Kultur.«
    Die Faszination ließ ihn nicht los.

Romanze mit Hürdenlauf
    »Sehr geehrte Miss MacLaren,
ich weiß nicht ganz, wie ich beginnen soll. Wer ich bin, wissen Sie schon. Da ich nun seit einer Woche von den Einschränkungen der Regel drei befreit bin, möchte ich mich mit einer besonderen Bitte an Sie wenden, die mich allerdings Mut kostet. Ich fürchte, dass die albernen Streiche, für die ich während meiner Zeit im Emmanuel Bible College berüchtigt war, über die Tatsache hinwegtäuschen könnten, dass ich es mit meiner Hingabe an unseren Herrn ernst meine und meine Entscheidung für ein Leben in seinem Dienst unerschütterlich ist. Hiervon möchte ich Sie von ganzem Herzen überzeugen, bevor ich Ihnen das Interesse bekunde, das ich seit längerer Zeit an Ihrer Person habe …«
    Elisabeth MacLaren, von Freunden und Familie Betty genannt, hatte ihr drittes und letztes Studienjahr im Emmanuel College noch vor sich. Selbst die strengen Vorschriften von Regel drei konnten nicht verhindern, dass sie einen Brief von einem Verehrer in Empfang nahm. Die ruhige, zierlich gebaute junge Frau mit ihren blonden Haaren und ihrer sachlichen Art, seriösem Blick und festem Schritt war Jack in den letzten zwei Jahren seines Studiums des Öfteren aufgefallen.
    Da sie einen weit größeren Respekt vor Verordnungen hegte als er, sich ihrem Studium mit ungeteiltem Herzen widmete und die Männergesellschaft des Colleges kaum eines Blickes würdigte, war er sich alles andere als sicher, ob sein erster Annäherungsversuch auf fruchtbaren Boden fallen würde.
    Nachdem Jack während seines dreijährigen Aufenthalts am Emmanuel Bible College klar geworden war, dass das Ziel dieser langen Vorbereitungszeit wirklich das Eskimovolk im Norden Kanadas sein würde, hatte er die hohen Anforderungen der anglikanischen Arktisdiözese, die seit vielen Jahren nördlich des Polarkreises in den einheimischen Siedlungen arbeitete, zur Zufriedenheit erfüllt. Seine Reise nach Kanada stand in einigen Wochen bevor. Nur noch diese eine Sache wollte er erledigen.
    »Ich glaube nicht, dass sie ein romantischer Typ ist, der auf Gedichte und Sentimentalitäten steht«, hatte er mit Erleichterung erkannt, »deshalb versuche ich es lieber auf die nüchterne Tour.« So begründete er sein »Interesse an Ihrer Person« mit einigen sachlichen Argumenten und schloss
    »mit besten Segenswünschen und in der Hoffnung, von Ihnen eine baldige Antwort zu erhalten,
    Ihr sehr ergebener
Jack Sperry«
    Mindestens drei Entwürfe landeten im Papierkorb, bevor er den Umschlag mit einem Zittern im Herzen zum Briefkasten trug und die ganze Zeit mit Reue an die Nacht dachte, in der er und ein paar andere Jungs aufs Dach des Damenhauses geklettert waren und mit dem gruseligen Ruf »Gespenster, Gespenster« Bimmelglocken in die Schornsteine hinuntergelassen hatten. Die aufgebrachten Schreie der aus

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