Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
für das interessieren werden, was wir am Rande der Welt treiben oder nicht treiben. Wenn ich darf, bediene ich mich mit einer zweiten Tasse Tee.«
Es gibt Menschen, die sich aufmachen, um Mutiges zu wagen. Und es gibt diejenigen, die diese Menschen genug lieben, um sie ziehen zu lassen und sich mit dem betäubenden Verlust abzufinden, den lange Trennungen und weite Entfernungen mit sich bringen. Auch diese haben auf eine leise innere Stimme gehört, die zum Loslassen mahnt in Augenblicken, in denen es einfacher wäre, festzuhalten, zu klagen und reihenweise logische Gründe vorzubringen, die vor einem riskanten Lebensschritt warnen. Hinter Mr MacLarens ungeschliffener Fassade schlug ein aufrichtiges Herz, das nur das Beste für seine Tochter wollte. Er ließ los.
Nur einmal in ihrem Leben brach Betty, von allen für die Ruhe bewundert, die sie selbst mitten in den heftigsten Lebensstürmen ausstrahlte, sichtbar und hörbar unter der Last des Schmerzes zusammen. Das war einige Jahre nach dieser Begegnung zwischen Andrew MacLaren und seinem zukünftigen Schwiegersohn, als die Nachricht sie in Coppermine erreichte, dass ihr geliebter Vater gestorben war. Sie weinte tagelang ununterbrochen.
Eheschließungen von Missionskandidaten wurden von der Aufsichtsbehörde der anglikanischen Arktismission generell mit Argwohn betrachtet. Das Bischofsamt verordnete dem Paar eine Probezeit von zwei Jahren.
Jack sollte, wie geplant, in Liverpool einschiffen und nach Kanada übersetzen. Dort wartete eine Pastoralausbildung auf ihn mit anschließender Ordination als Pfarrer der anglikanischen Kirche. Erst dann galt er als für den pastoralen Dienst in Coppermine qualifiziert. Betty wurde ein regelrechter Hürdenlauf vorgeschrieben, der prüfen sollte, dass sie für das Leben mit den vielen Entbehrungen der Arktis und weitab von jeder Zivilisation geeignet war. Nach ihrem Abschluss am Emmanuel Bible College durchstand sie auf eigene Faust den gleichen Bewerbungsmarathon wie Jack. Jeder Lebensbereich wurde unter die Lupe genommen: Herkunftsfamilie, Theologie, Missionsverständnis, Charaktereigenschaften, Belastbarkeit. Die Probe war mühsam, gründlich, hart.
Gute Karten hatte sie dadurch, dass sie schon vor der Bibelschulzeit eine qualifizierte Krankenschwester gewesen war. Eine Zusatzausbildung als Hebamme fügte sie nach ihrem College-Abschluss hinzu. Medizinisches Personal jeder Art war überall in der Arktis Mangelware.
»Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihre Bewerbung eingehend überprüft haben und Ihnen hiermit unsere Zusage für die Mitarbeit in unserer Missionsgesellschaft geben wollen.«
Einen Luftsprung machte Betty nicht. Aber sie atmete erleichtert auf. Das erste große Hindernis war überwunden.
Der Auftrag wird ernst
»Er führt mich auf grüne Weiden, er leitet mich an stillen Wassern«, sang eine Gruppe wetterfester junger Männer mit einer trotzigen, gezwungenen Fröhlichkeit. Dicht gedrängt standen sie unter einem einzigen Regenschirm am ansonsten verlassenen Landesteg. Die Kulisse war alles andere als grün, weder waren Weiden zu sehen noch sahen die trüben braunen Wellen im Entferntesten wie stille Wasser aus. Es war ein grauer Septembertag 1949, der Ort war der Hafen Liverpools, und die H. M. S. »Ascania« legte gerade vom Dock ab. Ziel der Schiffsreise war Montreal in Kanada, geplanter Ankunftstermin 8. Oktober.
Jack stand an Deck. Seine windverwehten Collegefreunde sangen unentwegt weiter von stillen Wassern, dunklen Tälern und überfließenden Kelchen, während der Regen in Strömen vom Himmel schüttete, die lange Gestalt und der winkende Arm ihres Freundes gegen den faden Herbsthimmel immer kleiner wurde und das Schiff schließlich nur noch ein Fleck am Horizont war.
»Er führt mich auf grüne Weiden …«, murmelte Jack nachdenklich, als er einige Monate später aus Halifax in Kanada an seinen Bruder schrieb:
»Jetzt laufen die letzten Vorbereitungen auf Hochtouren. Halifax war eine gute Übergangsstation. Die Ordinationsfeier findet im Mai in Winnipeg statt. Das pastorale Zusatzstudium unter den Fittichen von Dr. Isherwood (er ist Pfarrer der St. Pauls Church) war wertvoll. Inzwischen habe ich ein klareres Bild von dem Leben, auf das ich mich einlasse. Mein Verlangen, endlich bei den Eskimos zu sein, wird mit jedem Tag größer. Die Not dort ist gewaltig, der Mitarbeiter wenige. Im Moment scheint es, als ob dunkle Kräfte am Werk sind, die alles rückgängig machen
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