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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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wollen, was treue Männer Gottes in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Mir sind drei Dinge bewusst: die Unmöglichkeit der Aufgabe, meine eigene Unfähigkeit, aber viel wichtiger: die Fähigkeit unseres mächtigen Gottes. Es war schwer genug, so weit zu kommen wie ich jetzt gekommen bin. Der schwerste Teil steht noch bevor. Bete für mich um Gnade, viel Gnade.«
    »Woran erinnert mich das?«, dachte er, als er seinen ersten Blick auf die Stadt Winnipeg warf. Er saß in einem Eisenbahnwagen der »Canadian National Transcontinental Railway« und der Zug näherte sich im Schneckentempo einer Stadt, die gerade die größte Tragödie ihrer Geschichte erlebt hatte. Gewaltige Überschwemmungen des »Red River« hatten ganze Wohn- und Geschäftsviertel in Trümmer verwandelt. Deiche waren gebrochen, die Stadtbewohner arbeiteten unermüdlich rund um die Uhr, um die Flussufer mit Sandsäcken zu befestigen und die Deiche zu stabilisieren. Die Nerven einer ganzen Stadt lagen blank. Der geringste Anstieg oder Rückgang des Wasserpegels hielt die angespannte Aufmerksamkeit Tausender Menschen in seinem Bann und jede Bewegung der schlammigen Wellen gegen Deiche und Dämme wurde mit Angst beobachtet.
    Alte Erinnerungen, vergangene Zwiegespräche mit Gott stiegen mit großer Dringlichkeit in Jacks Herzen hoch. Wie einst vor den Trümmern Hiroshimas betete er: »Herr, gib mir ein Stück Erde, das ich zu einem besseren Ort machen kann, wo ich Menschen helfen kann, die in Not sind.«
    Weil die Überschwemmung alle Schlagzeilen und den gesamten Einsatz der Stadt in Anspruch nahm, fanden die Ereignisse in der anglikanischen St.-Johns-Kathedrale ein paar Tage später wenig Beachtung in der örtlichen Bevölkerung. Für manche Beteiligte an diesen Ereignissen jedoch sollten sie tief greifende Auswirkungen haben. Am 30. Mai wurde Donald Ben Marsh als zweiter Bischof der Arktis geweiht. Am Tag darauf knieten zwei junge Pastoren, John Sperry und Donald Whitbread, vor dem neuen Bischof, der sie für einen Dienst in der Kirche Jesu Christi im entferntesten Norden Kanadas segnete.
    »Ich brauche euch nicht zu sagen, dass harte Zeiten auf euch warten«, mahnte der neue Bischof in seiner Predigt und blickte die zwei frisch gekürten Diener Gottes scharf an, »nicht nur harte, sondern auch lebensgefährliche.«
    Nein, daran brauchte er die zwei jungen Männer gewiss nicht zu erinnern. Zwei schweigsame Zeugen, Jacks und Donalds unmittelbare Vorgänger, lagen draußen, wenige Meter entfernt, auf dem Friedhof. Einer war Reverend Turner, dessen Dienst als Pioniermissionar im Norden von Baffin Island durch die verirrte Kugel eines Jägers jäh beendet worden war. Er starb kurz nach dem Unfall.
    Der andere, Reverend Stringer, wurde nicht für seine missionarischen Dienste im Nordwesten Kanadas in der Klatschpresse berühmt, sondern weil er kurz vor seinem Hungertod seine Mokassinstiefel gegessen hatte.
    Die Ordinationsfeier war nüchtern, ergreifend und ein klein wenig beängstigend. Jack und sein Kollege Donald Whitbread verließen die Kathedrale mit den guten Wünschen und Gebeten vieler wohlwollender Besucher.
    »Ich hatte das Gefühl, dass viele uns etwas mitleidsvoll und wehmütig anschauten, als ob es kein Wiedersehen geben würde«, schrieb er an seinen Bruder. »So, als ob wir nun in die Einöde verbannt werden, vom Rand der gefrorenen Welt herunterpurzeln könnten und nie wieder gesehen werden. Wir beide hatten trotzdem das ehrfurchtsvolle Gefühl, gemäß der alten apostolischen Tradition vom Heiligen Geist für das Werk des Herrn abgesondert zu sein. Es ist unsere innige Hoffnung, dass wir durch Gottes Gnade und mit etwas gesundem Menschenverstand doch ein paar Jahre effektiver Arbeit für unsern Herrn erleben und nicht zu bald auf diesem Friedhof unsere letzte Ruhe finden.«
    Donald Whitbread wurde in die östliche Arktis geschickt, Jack wurde der westliche Teil zugeteilt. Von hier aus sollte er sich um die Copper-Inuit der Zentralarktis kümmern, ihre Sprache lernen, ihren Glauben stärken.
    So einfach teilte man sich ein riesiges Stück gefrorene Erde. Wenige Stunden nach der Ordination verabschiedeten sich die zwei Männer und machten sich auf gen Norden. Donald zunächst mal nach Toronto, danach sollte er seine Arbeit in Nordquebec beginnen. Jack stieg in einen Zug Richtung Edmonton, von dort aus sollte er 1 500 Kilometer zur nördlichen Atlantikküste weiterfliegen. Sie rechneten nicht mit einem Wiedersehen. Bevor das Fliegen zur

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