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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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viel kleiner und stockiger ihm dieser vorkam als bei ihrer ersten Begegnung einige Jahre davor. Als ob er Jacks Gedanken lesen konnte, lieferte sein Gastgeber die Erklärung:
    »Also, entweder bist du größer geworden oder ich bin geschrumpft«, lachte er. »Oder aber, treu der Devise ›So werden wie die Einheimischen‹ habe ich mich in den vielen Jahren der kleinen Gestalt der Eskimos angepasst!« Harolds herbe, aber offenherzige Art gefiel Jack auf Anhieb.
    Ein fester Handschlag zwischen den zwei Landsleuten, Erleichterung nach dem Ende der mühsamen Reise, die freundliche Aufnahme von Edith Webster und ihren Töchtern, eine dampfende Tasse Tee neben einem Kohlefeuer im winzigen Missionshaus, ein einfaches, aber herzlich eingerichtetes Zimmer, das ehemalige Missionsbüro der St.-Andrew's-Mission, für den Gast. Jack fühlte sich wie im Paradies. Endlich wieder Zivilisation. Er blickte sich neugierig im kleinen Wohnzimmer um, das bald sein Zuhause werden sollte. Unübersehbare Spuren des Herkunftslands, wie die einfachen Vorhänge aus Baumwolle mit ihrem Osterglockenmuster und das Porzellangeschirr mit roten Rosen und vergoldeten Rändern, wirkten etwas merkwürdig unter den groben Karibu- und Eisbärfellen, die Boden und Wände schmückten. Aber auf tröstliche Weise vertraut. Der allgegenwärtige Geruch von Kohle erinnerte ihn an seine Mutter. Kleine elektrische Heizgeräte ergänzten die Wärme, die vom Kohleofen strahlte. So sorgfältig, wie Edith mit ihrer vergoldeten Teekanne umgeht, muss sie ein Familienerbstück sein, dachte Jack. Gleichzeitig versuchte er, sich innerlich ein erstes Bild von Betty in diesem behaglichen Umfeld zu machen. Es war nicht schwierig. Sie würde gut hineinpassen, dachte er mit Genugtuung.
    Canon Harold Webster hatte nur noch die Aufgabe, seinem Nachfolger auf die Sprünge zu helfen, danach sollte er mit seiner Familie auf eine neue Dienststelle wechseln, im Delta des großen Mackenzie-Flusses. Zweiundzwanzig Jahre hatte es dieser unschlagbare Pionier im wilden Schneetreiben des hohen Nordens ausgehalten. Für solche Dauerstrapazen brauchte man Kondition, und sie hinterließen auch bei den robustesten Einwanderern gesundheitliche Spuren. Ein Aufenthalt von 20 Jahren galt normalerweise als oberstes Limit.
    »Erzähl mal, Jack, woher kennt Harold und du euch eigentlich?«, wollte Edith wissen, nachdem sie die leere Teekanne aus einem Wassertopf auf dem altmodischen Herd neu gefüllt hatte. »Ich weiß nur, dass du mir damals schrecklich jung und zart vorkamst! Anders als jetzt. Das Bärenfleisch ist dir nicht schlecht bekommen.«
    Jack erzählte, wie er schon mit 15 Jahren angefangen hatte, sich über Missionsgesellschaften in der Arktis zu informieren. Ihm wurde die Adresse von einem Reverend Webster gegeben, dessen Sohn Missionar in Coppermine war.
    »An den Brief erinnere ich mich«, unterbrach Harold, »mein Vater leitete ihn an mich weiter, ich schrieb zurück und versprach, für dich zu beten. Hab ich auch gemacht!«
    »War nötig«, fuhr Jack fort, »die Turbulenzen der Kriegsjahre haben mich von meinem Interesse an der Arktis gewaltig abgelenkt. Erst auf der Bibelschule wurde die Sache richtig aktuell.«
    »Und irgendwann tauchtest du bei uns auf, gerade als wir im Heimaturlaub waren.«
    »Ja, es war das Sommersemester, und wir sollten zu acht mit einem Bollerwagen voller Literatur durch Nordwestengland wandern. Bei Sonne oder Regen sollten wir Gottesdienste unter freiem Himmel abhalten, es war Teil unseres praktischen Trainings für die Mission.«
    »Und eine eurer Stationen war ein kleines anglikanisches Missionswerk in der Nähe von Blackpool …«, erinnerte sich Harold, während er die neu gefüllte Teekanne mit ihrem Rosenmuster sorgfältig aus den Händen seiner Frau nahm.
    »… wo wir von deinem lieben Vater begrüßt wurden! Ich hatte meinen Brief von damals längst vergessen. Er aber nicht. Als Allererstes sagte er: ›Ist zufällig jemand hier mit dem Namen Sperry?‹ Er hatte meinen Namen auf der Liste der Bibelschüler wiedererkannt. Mir war es im ersten Moment peinlich, aber meine Freude war groß, als er mir erzählte, dass ihr gerade im Heimaturlaub wart.«
    »Und dann durfte ich dich mit meinen Bildern beeindrucken und Geschichten vom Leben hier erzählen. Offensichtlich ist es mir gelungen, dich auf den Geschmack zu bringen.«
    »Nach so vielen Zufällen hatte ich keine andere Wahl«, lachte Jack. »Mein Freund George behauptet immer: ›Ich verstehe nicht

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