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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Wattverbrauch und für die elektrischen Heizgeräte, aber natürlich nur, wenn es Wind gibt. Sobald die Lichter ausgehen, zünden wir Kerosinlampen an.«
    In dieser bunt gemischten Lebensgemeinschaft befand sich also Jacks zukünftige Pfarrgemeinde, der Kern davon zumindest. Der Großteil seiner Gemeindemitglieder hockte irgendwo im Schnee, in Jagdrevieren draußen in fernen Eiswüsten.
    Diese zu entdecken und kennenzulernen, würde erst bei Einbruch des Winters möglich werden, wenn Seen, Flüsse wie auch das Meer passierbar waren.

    »Warum starrt sie mich nur an?«, flüsterte Jack entnervt.
    »Wart einfach mal ab. Alles mit Geduld!«
    Zehn ganze Minuten pausenlos von einer Frau vom Kopf bis zu den Füßen gemustert zu werden, war Jack etwas unheimlich. Plötzlich drehte sich die Frau um und verschwand aus dem Haus.
    »Hab ich etwas falsch gemacht, Harold? Kommt sie wieder um mich zu messen, oder was?«
    »Sie hat dich doch schon gemessen, Jack«, lachte Harold.
    »Wie bitte?«
    »Sie schaut dich ganz genau an und vergleicht dich mit ihrem Ehemann. Sie misst dich mit ihren Augen, merkt sich vor allem die Breite deiner Schultern und die Länge deiner Beine. Du wirst dich wundern, was dabei herauskommt.«
    Das Warten lohnte sich allemal. Arktistaugliche Kleidung zu nähen und instand zu halten, war Überlebenssache. Selbst die kleinsten Mädchen konnten geschickt mit Nadel und Faden oder, in früheren Zeiten, mit spitzen Walknochennadeln und Karibusehnen umgehen. Wenige Tage später wurde Jacks komplette Ausrüstung, maßgeschneidert auf seine Körpergröße, geliefert.
    Harold weihte Jack in die Tücken und Tugenden der regelrechten Waffenrüstung aus Karibuhaut ein, die offensichtlich und notwendigerweise dann doch mehr auf Funktionalität als auf Ästhetik angelegt war.
    »Dein Mantel, oder ›Kulitak‹, besteht aus zwei Schichten Karibuhaut, an der die Karibuhaare zwecks Wärmeisolierung dranbleiben: Schau hier. Eine Schicht nach außen, eine nach innen.
    Und hier ist dein Unterhemd, sozusagen, in Zukunft nennst du es dein ›Atiki‹«, erklärte Harold weiter. »Das trägst du direkt auf der Haut, auch mit den Haaren nach innen. Das Ding hat eine Kapuze, mit dem Fell eines Bärenmarders gefüttert. Wie du siehst, ist es viel weicher als der Mantel. Hier, probier es an. Nur Mund, Augen und Nase dürfen frei sein.«
    »Von wegen ›probier es an!‹«, sagte Jack, als er in dem Berg von Fell, der vor ihm lag, einen Ärmel suchte. »Das Ding wiegt eine Tonne!«
    »Keine Sorge, du gewöhnst dich dran. Warte ab, bis die ersten Winterwinde wehen …«
    »Warum Bärenmarderfell an der Kapuze, und nicht Karibu?«
    »Weil dein gefrorener Atem leichter von Bärenmarderfell abfällt als von Karibuhaaren. Sonst ist dein Kopf permanent mit Eiszapfen umrahmt. Etwas ungeschickt. Wie du siehst, ist alles durchdacht. Schau, die Kapuze passt perfekt.«
    »Und wird Hundefell auch verwendet?«
    »Huch, das darfst du hier nicht zu laut fragen«, antwortete Harold. »Einen Hund zu töten, vor allem nur für sein Fell, ist, als brächte man einen Verwandten um!«
    Jacks Beine wurden in Karibusocken gekleidet, wie der Rest der Kleidung mit den Haaren nach innen. Über diese wurden » Kamiks « , oder Stiefel, gezogen, auch aus Karibuhaut. Die Sohlen waren aber aus zäherer Elchhaut gefertigt. Handschuhe aus Karibuhaut schützten seine Hände.
    »Zieh ja nicht solche Grimassen«, bemerkte Harold, »so ein Anzug hat mir das Leben gerettet. Einmal holte mich ein Schneesturm ein, meine Hunde sind samt Schlitten abgehauen, und ich bin schutzlos ohne Feuer und Nahrung vier Tage lang im Schnee herumgewandert.«
    »Hauen Hunde einfach so ab?«, fragte Jack erschrocken.
    »Na ja, ein bisschen Schuld hatte auch ich an der Sache«, räumte Harold ein, »ich hatte meinen Leithund geschlagen, weil er zu langsam war. Ein Faulpelz war der. Meine derbe, nordenglische Umgangsart mochte er wohl nicht.«
    »Kein Wunder«, dachte Jack, sagte es aber nicht laut.
    »Und was macht der Kerl? Reißt seine Leine ab und haut ab, auf Nimmernimmerwiedersehen. Ich, Trottel wie ich bin, versuche, ihn einzufangen, verlaufe mich in diesem eiskalten Unwetter, während der Rest meiner Hunde fröhlich ohne mich zurück nach Hause findet. Zum Glück wurde eine Suchmannschaft nach mir losgeschickt und sie fand mich irgendwo neben einer Schneedrift liegen. Trotz meines ungeplanten Aufenthalts im Schnee hatte ich dank meiner Karibuhülle nicht die geringste Spur von

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