Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
Vom Netzwerk:
diesen Kenntnissen ab. Bewaldete Reviere weiter im Süden waren schon von Indianern bewohnt, die kriegslüstern waren und Eindringlingen ein schnelles Ende bereiteten. Die Feindschaft zwischen Indianern und Eskimos besteht bis heute.«
    Greg hielt kurz an, während er versuchte, mit seiner Zunge ein Stück Fisch aus seiner hinteren Rachenhöhle zu holen.
    »Und die Theorie, dass einige über das Meer kamen?«, fragte Jack, während er Luft holte und seine Messerspitze schwungvoll in den Bauch der nächsten Forelle stach.
    »Könnte was dran sein. Es ist möglich, dass sie mit ihren Kajaks an der Westküste der Arktis entlanggerudert sind. Interessant ist allerdings, dass alle Ureinwohner im Norden bei der Geburt den gleichen lilafarbenen Punkt am Steißbein haben wie die Asiaten. Was vermuten lässt, dass die Wanderungen über die Beringstraße doch eine längere Geschichte haben.«
    Jack schluckte kurz, als Greg sein verschmiertes Messer an seinem Bart abwischte, es ableckte und einen Forellenkopf mit einem Schlag abhackte.
    »Als Mann der Kirche willst du sicher wissen, wie es mit der Religion steht«, fuhr Greg fort. Er stocherte mit seinem Messer nachdenklich in einigen wenig appetitlich aussehenden Fischgräten herum, die an einem Ende des Tisches aufgehäuft waren.
    »Na ja, wenn ich mich nicht schon etwas damit beschäftigt hätte, wäre ich nicht hier«, antwortete Jack, »aber erzähl ruhig.«
    »Von Haus aus sind sie Animisten, verehren also die Geister von Steinen, Pflanzen und Tieren«, erklärte Greg. »Ist ja logisch. Wer jahrhundertelang solch extremen Umweltbedingungen wie den hiesigen ausgesetzt ist, dem bleibt nichts anderes übrig. Wobei …«, hier schaute er Jack neugierig an, »sie es leichter haben, euren Gott der Bibel zu akzeptieren als manche christliche Weiße, die ich kenne.«
    Aus dieser Bemerkung schloss Jack, dass Greg sich selbst nicht zu den »christlichen Weißen« zählte.
    »Der Lebensstil in der Bibel ist ähnlich dem ihren. Landgebunden, bodenständig, von feindlichen Kräften umgeben, ums Überleben ringend, abhängig von den Launen der Natur. Bei den Hebräern ging es um ›Regen oder kein Regen‹. Bei den Eskimos um ›Karibus oder keine Karibus‹. Nur der Gott dazu, oder der ›große Geist‹, wie sie ihn nennen, hat ihnen die ganze Zeit gefehlt. Sie mögen ihn, euren christlichen Gott.«
    »Und unsere Aufgabe ist es, ihnen das Buch und den Lebensstil dazu zu liefern«, sagte Jack, mehr zu sich selbst als zu seinem neuen Freund. Gleichzeitig fragte er sich, ob Gott wirklich vorhatte, Menschen in dieser eisigen, feindlichen Stille leben zu lassen, als er die Welt schuf.
    »Ist auch logisch, dass sie ihn mögen.« Greg schnitt mit einem Messerhieb einen weiteren Fischkopf ab und warf ihn zur Seite. Jack zuckte zusammen, als eine kleine Dusche Schleimtropfen auf dem Tisch und auf dem Ärmel seines Parkas landete, und versuchte, sie mit einer unauffälligen Handbewegung wegzuwischen.
    »Mein Parka wird mit allen erdenklichen Ehren in sein neues Leben eingeweiht«, grübelte er, als er an die erste Staffel seines Flugs zurückdachte. Greg war immer noch bei den religiösen Befindlichkeiten der Eskimos.
    »Sie führen eine Existenz unter einfachsten Bedingungen, zwangsläufig sehr auf die physischen Umstände konzentriert, dabei sind sie zarte, hochintelligente Menschen.«
    Greg klopfte mit seiner Messerklinge auf den Tisch, blickte aus dem Fenster und fügte mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln hinzu: »Das ist ein Phänomen bei den Eskimos. Von Bildung, Aufklärung, Zivilisation wissen sie nichts. Sie überleben in dieser beißenden Kälte durch die Kraft ihrer Muskeln und die Schärfe ihrer Augen. Und dennoch sind sie die edelsten, feinsten Menschen dieser Welt. Du hörst sie kaum klagen. Und beobachte mal, wie sie mit ihren Kindern umgehen oder wie stark ihre Frauen das Sagen haben in ihren Lebensgemeinschaften.« Er fing wieder an, die letzten Fische zu schlitzen.
    »So, jetzt haben wir auch für die beiden Hunde genug.«
    Er drehte die Flamme des kleinen Kerosinbrenners höher und setzte eine Pfanne darauf.
    »Mein wichtigster Rat, Jack: Komm ja nicht besserwisserisch oder herablassend auf sie zu. Da machen sie sofort dicht.«
    Jack hatte das nicht vor.
    In den Stunden, in denen sich die zwei Männer nicht unterhielten, musste sich Jack an die Stille seiner neuen Umgebung gewöhnen. Immer wieder griff er unbewusst an seine Ohren, hustete und räusperte sich, um

Weitere Kostenlose Bücher