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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Frostbeulen.«
    »Und woran erkennt man Frostbeulen?«
    »Wenn wir unterwegs sind, müssen wir immer auf die Gesichter unserer Reisegefährten achten. Wenn nämlich weiße, wachsähnliche Flecken auf der Haut erscheinen, muss man schnell handeln, Feuer machen, zudecken, denn das sind die Anfänge von Frostbeulen.«
    Jack steckte schon mitten in seiner ersten Unterrichtsstunde zum Thema Wetter. Harold erzählte, dass die bittere Kälte im Winter wie ein Messer schneiden konnte. Tiefsttemperaturen von minus 50 Grad plus ein eisiger Wind waren eine giftige Mischung, bei der ungeschütztes menschliches Fleisch innerhalb von 40 Sekunden erfrieren konnte. Nackte Fingerspitzen, die in Verbindung mit Metall kamen, wurden sofort taub. Dies sollte Jack bald selbst feststellen, als er versuchte, erste Bilder zu knipsen und dabei auf den Auslöser drückte.
    »Nachdem ich all das mühsam angezogen hatte, nunmehr mit etwas Verständnis für das ›Warum‹«, schrieb Jack an seine Verlobte und seine Eltern, »hatte ich ein für alle Male begriffen, dass man sich hier von jedem Modebewusstsein endgültig verabschieden musste.« Er schmunzelte und fügte ironisch hinzu: »Ich fühlte mich so flink und agil wie ein mittelalterlicher Ritter in voller Ausrüstung. Aber warm war ich. Und das war die Hauptsache.«

Erste Tour aufs Eis
    »Du hast eine gute Missionsschule besucht, Jack«, sagte Harold Webster. Jack wusste das Kompliment seines Mentors zu schätzen. Sie waren auf Jacks erster Reise mit Hundegespann und Schlitten nördlich von Coppermine, aufs gefrorene Meer, eine Tagesreise weit. Jacks neue Karibumontur bestand ihre erste handfeste Bewährungsprobe. Auf diesen Abstecher ins Kernland des Polarkreises hatte er sich mit einer Mischung aus Angst und immenser Spannung gefreut.
    »Von wegen Missionsschule! Was haben theologische Exegesen, Vorlesungen und philosophische Extravaganzen mit dem allem hier zu tun? Meine beste Vorbereitung auf dieses Leben war die Marine!«
    Die beiden Männer saßen nebeneinander vorne auf einem voll beladenen Schlitten, der mühelos durch den frischen Schnee des Winteranfangs zischte. Die Eisoberfläche unter der Schneeschicht war bisher glatt, die Hunde liefen gut. Man konnte sich unterhalten, musste sich seinem Gesprächspartner allerdings zuwenden und direkt ins Gesicht sprechen, um in all den Fellen gehört zu werden. Alle Teile des Kopfs, einschließlich der Ohren, waren in Fell eingehüllt, nur Mund, Nase und Augen nicht.
    Die Beschaffenheit des gefrorenen Meeres hing immer davon ab, wie das Wetter zur Zeit des Frostes gerade war. Eine ruhige Wetterphase ergab glattes Eis; wenn Stürme tobten, gab es raues Eis und die gefrorene Meeresfläche glich einem Trümmerfeld.
    »Die Marine?«, fragte Harold neugierig. »Und was hat das Leben auf dem Schiff mit dem Leben mitten in der Arktis gemeinsam?«
    »Eine ganze Menge«, sagte Jack, »die Wichtigkeit von Gemeinschaft zum Beispiel. Auf einem Schiff in Kriegszeiten bist du auf ein gutes Miteinander hundertprozentig angewiesen, du musst schnell kommunizieren, rund um die Uhr auf der Hut sein. Hier müssen wir genau die gleiche Mentalität haben. Ein kleiner Fehler, und die gesamte Mannschaft kommt in Gefahr.« Harold nickte zustimmend.
    Mitten auf dem vereisten Wasser, das nur durch die gewellte Oberfläche vom Festland zu unterscheiden war, liefen die Männer nach zwei Stunden Fahrt abwechselnd neben dem Schlitten, um ihren Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Das Eis war nicht mehr so glatt wie am Anfang und die Hunde waren enorm beansprucht. Die zurückliegende Wegstrecke war eine unruhige Fahrt gewesen.
    Jack blickte auf das stille, weiße Meer, das vor ihm lag, schaurig im blassen Mondlicht. Fern vom Lichtradius des Halbmonds funkelten Tausende von Sternen, die die dunkelblaue Kulisse des Nachthimmels mit ihrem dünnen Licht durchstachen. Am Horizont vor ihnen leuchtete das gefrorene Wasser wie eine stahlharte Platte. Die erstarrten Wellen konnte man in dieser Entfernung nicht mehr ausmachen.
    Einen größeren Unterschied zum Leben auf einem Kriegsschiff, eingepfercht auf engstem Raum, von Dauerlärm und schwitzenden Männerkörpern umgeben, konnte man sich eigentlich nicht vorstellen. Äußerlich gesehen zumindest.
    »So friedlich, wie es im Moment aussieht, kommt man nicht auf die Idee, dass überall Tod und Gefahr lauern«, sagte Jack.
    »Und gerade deshalb machen wir jetzt ein kurzes ›Mug-up‹.«
    Das war Harolds Bezeichnung für

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