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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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eine Teepause. Die Ausrüstung dazu war einfach, aber effektiv: Der kleine Kerosinbrenner wurde schnell angezündet, Schnee in einem Topf gekocht. Teeblätter hinein. Fertig. Schiffszwieback gab es als Imbiss dazu. Manche der Hunde leckten Schnee, um ihren Durst zu löschen, andere hatten sich schon hingelegt und hechelten. Futter bekamen sie erst abends bei der Ankunft.
    »Sonstige Ähnlichkeiten mit der Marine?«, fragte Harold, während er den heißen Dampf des Tees genüsslich einatmete und seine von Handschuhen bedeckten Hände am Keramikbecher wärmte, bevor er den ersten Schluck nahm.
    »Schiffszwieback natürlich!«, fuhr Jack mit vollem Mund fort. »Und Zusammenarbeit«, nachdem er den ersten trockenen Bissen dieser unappetitlichen Kost geschluckt hatte.
    »Auf dem Schiff hatte jeder seine feste Stellung. Ich arbeitete unten als U-Boot-Detektor.«
    »Und was macht man da?«
    »Unser Job war es, Signale auszusenden, die widerhallten, wenn sie auf Metall stießen. Wir mussten diese Echos interpretieren und feststellen, ob es sich hier um ein feindliches Schiff handelte. Andere standen auf dem Deck mit Ferngläsern, wieder andere hockten auf dem Mast. Wir lauschten unten, die anderen schauten oben. Rund um die Uhr.«
    »Ich glaube, wir müssen uns wieder auf den Weg machen und Iglu-Detektor spielen, Jack, sonst reicht der Brennstoff nicht, und das Futter für die Hunde geht aus. Außer, wenn die Leute in der Siedlung genug übrig haben. Wir wollen ihnen aber nicht zur Last fallen.«
    Es war November und Jack hatte nicht nur mitgeholfen, eine Kirche zu bauen, sondern hatte auch den ersten bedeutsamen Wetterumschwung in einer Landschaft erlebt, die tausend Gesichter hatte. Der Wintereinbruch löste in allen Arktissiedlungen ein regelrechtes Getümmel von Leben und Betriebsamkeit aus und wurde mit Freude begrüßt, aber auch mit unermüdlichen Vorbereitungen auf die bevorstehende Eiszeit. Die Insektenschwärme, die Mensch und Vieh in den kurzen Sommermonaten geplagt hatten, verschwanden. Seen und das Meer waren nicht mehr Hindernisse, sondern verwandelten sich im Nu in breite Straßen. Im November schon machte es eine Schneeschicht möglich, ungehindert mit einem Hundegespann auf dem harten Eis zu reisen. Man konnte einen Abstecher zu den Verwandten machen, Felle an den Handelsposten abliefern. Als sogar der gefrorene Ozean zu einer Hauptstraße wurde, konnten die Missionare selbst Gemeindemitglieder besuchen, die am entferntesten Rand des »Pfarrbezirks« lebten. Auf dem fest gefrorenen Polarmeer wurden ganze Siedlungen gebaut. Eine der näher gelegenen Siedlungen war das Ziel der Reise von Jack und Harold. In keinem anderen Teil der Erde war es möglich, ohne Bahn und geteerte Straßen so schnell und mühelos unterwegs zu sein. Festgefahrene Schlittenspuren anderer Reisender waren ein guter Ersatz für fehlende Straßenschilder. Außerdem wusste Harold Webster aus jahrelanger Erfahrung, wo sich seine Gemeindemitglieder zu welcher Jahreszeit befanden. Auch der scharfe Geruchssinn der Hunde führte unweigerlich in Menschensiedlungen.
    Spätestens im Dezember bauten Einheimische, die den Sommer über in Stoff- oder Karibuhautzelten gewohnt hatten, die ersten Schneehäuser. Bis dahin hatte der Wind so viele Schneedünen aufgehäuft, dass es reichlich »Baumaterial« gab. Jede Familie konnte ihr Traumhaus entwerfen und gestalten. Alles kostenfrei. Ohne Baugenehmigungen, ohne Architektengebühren. Diese Fertigkeit hatten die Eskimos durch die Jahrhunderte hindurch zu einer hohen Kunst optimiert. Ein Umzug stellte kein Problem dar. Man baute einfach ein neues Schneehaus.
    Auch für die Jagd, von deren Erfolg das Überleben der Eskimos abhing, war der erste Schneefall ein wichtiger Einschnitt. Gewehre wurden auf Hochglanz poliert und instand gesetzt. Jagdfieber griff um sich. Der frisch gefallene Schnee war auch für den Jäger wie eine lebendige Landkarte. Tiere hinterließen nun Spuren, die ihre Verfolger mit verlässlicher Orientierung zu ihrer Beute führten oder Bewegungen von Menschengruppen und Siedlungen treu dokumentierten. Man fand sich. Auch ohne Telefone, Post, Straßenschilder und moderne Verkehrsmittel.

    »Traumhaft, wie auf einer Weihnachtskarte«, murmelte Jack, als sie sich einer kleinen Traube leuchtender Schneehäuser näherten, die als leicht gelb strahlende Hügelchen aus den Schneemassen hervorstachen. Im Schnee wirkte alles gedämpft, geräuschlos, wie in Watte gepackt. Ein einziges unnötiges

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