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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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wollte lieber nicht wissen, was. Es war ein Kurzbesuch, ohne Übernachtung. Die Missionare verabschiedeten sich unter vielem Händeschütteln, dankten für die Gastfreundschaft und drückten ihre Vorfreude auf den nächsten Besuch aus. Dann spannten sie ihre Hunde an den Schlitten und fuhren in die frostige Nacht hinein.
    Sobald man als Kavlunak schon bekannt und akzeptiert war, wurde man auf das Niveau eines » Minihitak « befördert. Dieses Wort, das dem englischen Wort »Minister« entlehnt und der einheimischen Grammatik angepasst war, entsprach am besten der europäischen Bezeichnung für »Pastor«.
    »Sei froh, dass wir nicht in der Ostarktis leben«, hatte Harold zu Jack gesagt. »Dort heißt du als Pastor ›Aryoogerksooeyee‹. Derjenige, der verpflichtet ist, geistliche und allgemeine Prinzipien der guten Lebensführung zu unterrichten. Nicht schlecht, hey?«
    »Dann bleiben wir doch lieber bei Minihitak!«, lachte Jack.
    Die Begegnungen in Aivgaks und Uligunas Schneehütte waren eine nüchterne Erinnerung für Jack, welchen langen Weg er vor sich hatte, um sich dieser fremden und seltsamen Kultur anzupassen. Es war nicht schwierig zu erkennen, was die größte Herausforderung sein würde: die Sprache. Die Copper-Inuit sprachen den Inuinaktun-Dialekt. Auch nachdem Jack sich schon einen ordentlichen Grundwortschatz zu eigen gemacht hatte, schien es ihm, als ob diese Menschen ganz andere Worte verwenden würden als die, die er gelernt hatte. Außerdem redeten sie sehr schnell. Und Jack wollte keinem Dolmetscher zumuten, jedes Wort zu übersetzen.
    Sein erstes Ziel war schon klar: diese beklemmende Schallgrenze zu durchbrechen. Es würde einige Jahre dauern, bis er sich in der Sprache völlig zu Hause fühlen würde, den Humor und die Zwischentöne zu interpretieren wusste. Die Ansprüche waren hoch. Ein Pastor sollte nicht nur Lehrer der Schriften sein. Er sollte auch Neuigkeiten überbringen und Geschichten erzählen. Vor allem aber wusste Jack, dass er möglichst schnell in der Lage sein sollte, auch die tiefsten sozialen und persönlichen Probleme und Nöte der ihm anvertrauten Menschen zu verstehen. Dies alles lag für den Neuling Jack Sperry noch in weiter Ferne.
    »Es ist ein seltsames Gefühl des erzwungenen Schweigens«, schrieb er an seinen Bruder. »Nach allen mit Bravour überstandenen Strapazen der Marine, des Kriegs und der Missionsschule tue ich mich mit dieser andauernden Hilflosigkeit schwer. Die Umgebung hier reduziert mich auf den Zustand eines neugeborenen Babys, das alles von Anfang an lernen muss, für die kleinsten Bedürfnisse von anderen Menschen abhängig ist. Ich fühle mich unendlich verwundbar. Draußen in der Wildnis kann ich ohne fremde Hilfe nicht mal essen oder mich anziehen. Alltägliches wird zur Qual. Ich kenne die Sitten nicht, verstehe die Sprache nicht, kann bei den Witzen nicht mitlachen, habe vor Blamagen eine wahnsinnige Angst. Das Ganze kommt mir wie ein gewaltiger Berg vor und manchmal zweifele ich daran, ob ich es jemals schaffe, diesen Berg zu erklimmen.«
    Nicht nur das äußerste Maß an körperlicher Anstrengung wurde Jack in dieser fremden Welt abverlangt. Auch für die psychischen Strapazen musste Jack eine Überlebensstrategie finden.
    »Man muss lernen, über sich selbst lachen zu können«, erklärte er seinem Bruder weiter, »zu akzeptieren, dass man ein Unwissender ist. Und man darf alles nicht so tragisch nehmen. Belehrbar sein, und niemals, aber wirklich niemals aus der Fassung geraten. Ich stelle fest, dass die Menschen, die die höchste Achtung der einheimischen Bevölkerung gewinnen, eines gemeinsam haben: Sie bleiben auch mitten in extremsten Beschwernissen ruhig und besonnen und behandeln Führende und Mitreisende mit Respekt.«

    »Das Anstrengendste bisher war, diese Hunde bei Laune zu halten. Wie viel Fisch haben wir noch?«
    »Hier ist noch ein Sack, Jack. Snowball, mein Junge, du hast schon genug, lass die anderen ran!«
    Mitten in einem Gewühl von Bellen, Schmatzen und Grölen hungriger Huskys machte das Zweierteam gerade Pause auf der Rückfahrt nach Coppermine, oder vielmehr, die Hunde machten Pause. Ein Imbiss kostete vor allem eines: Mengen von getrockneten Fischsteaks.
    »Hier, Snowball«, rief Jack, »ein letzter Fisch, aber nur, weil du der Chef bist, dann ist Schluss!«
    »Es ist am Anfang gewöhnungsbedürftig, wie viel Futter die Hunde brauchen«, bemerkte Harold. »Es ist aufwändig genug, an sich selbst und seine Familie zu

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