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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Freien, für die er schon als kleiner Junge zu jeder Zeit zu gewinnen gewesen war, denn dies hatte sich nicht geändert. Mittlerweile war er nicht nur ein geschickter Angler, er konnte auch eine Robbe in Windeseile häuten und zerlegen. Er hatte auch die eine Kunst gelernt, die in der feindlichen Arktis mehr als alles andere überlebenswichtig war: die Kunst des Wartens. Stundenlang, wenn es sein musste, bis ein Karibu oder eine Robbe in Schussweite war und erlegt werden konnte. Auch seine Grundkenntnisse der Inuinaktun-Sprache reichten inzwischen für Alltagsgespräche.
    »Ich bin fürs Erste als Lernender, nicht als Lehrender hier«, schrieb er in sein Tagebuch, »meine wichtigste Aufgabe in dieser Anfangszeit ist die, die uns Menschen am schwersten fällt: das Zuhören. Kein Rampenlicht suchen, keine messbaren Erfolge der Arbeit anstreben, einfach beobachten und empfangen. Nicht gerade der Stoff für spannende Missionsberichte. Ich habe es aber hier mit Bräuchen, Gewohnheiten, Denkweisen zu tun, die von einem anderen Planeten sein könnten, so anders sind sie als alles, was ich bisher kenne. Ich muss mir Zeit nehmen, um dieser neuen Kultur auf den Zahn zu fühlen, mich in ihre Denkwelt hineinzufinden. Eines ist aber klar: Diese lieben Menschen haben mich in ihren Bann gezogen. Auf Anhieb.«
    Jacks erste Reise blieb, wie sich herausstellte, die einzige, die er in der Begleitung Harold Websters machte. Der Arktisveteran schien mehr als froh zu sein, seine unbändige Hundestaffel in die tierfreundlichen Hände seines Nachfolgers zu übergeben. Auch die langen Reisen zu den Siedlungen übernahm Jack mit Freude. Dass diese nun ausschließlich in der Gesellschaft einheimischer Begleiter durchgeführt wurden, sah er als Chance, schneller ins Herz der Kultur hineinzufinden. Einer dieser Begleiter war Sam Allonak, ein Jäger und Fallensteller aus Coppermine. Unter dem Einfluss der ersten Generation Missionare hatte auch Sam, wie viele der in und um Coppermine lebenden Eskimos, einen christlichen Rufnamen erhalten und konnte etwas Englisch.
    Ziel der bevorstehenden Reise mit Sam war nun Victoria Island, einer der nördlichsten Teile der Northwest Territories. Namen auf der Karte wie »Homan«, »Naluayuk«, »Kuuk« und »Sachs« sollten bald Gesichter bekommen.
    »Keine Rücksicht, Sam. Bitte nur Inuinaktun mit mir reden. Den Rest mit Händen und Füßen, Englisch nur in dringenden Notfällen«, betonte Jack immer wieder.
    Von Sam hatte Jack gelernt, wie man einen Schlitten für eine sechswöchige Reise ins Inland packt. In dieser ungewöhnlichen Pfarrgemeinde, die sich über etwa 7 700 Quadratkilometer erstreckte, musste man mit minimaler Ausrüstung in der Lage sein, tagelang bei tiefsten Temperaturen im Freien zu überleben.
    Kisten und Säcke wurden in einer fest vorgeschriebenen Reihenfolge auf den Schlitten geschnürt. Die kleinste Unachtsamkeit beim Packen konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Die Devise lautete: Nur das Allernötigste. Die Hunde mussten die Ladung Tausende von Kilometern schleppen, und auch sie hatten nur begrenzte Kraft. Jack staunte aber, wie wenig man brauchte, um selbst in feindlichsten Wetterverhältnissen zu überleben. Eine typische Ladung konnte auf bis zu 55 Kilo pro Hund kommen. Bei schlechtem Wetter oder rauem Terrain zogen die Männer mit den Hunden mit.
    Nur bei günstigen Schnee-, Wetter- und Temperaturverhältnissen stopfte man ein paar Extras in die Säcke. Denn den meisten Platz brauchte das Hundefutter, das nur zu Hause gelassen wurde, wenn unterwegs ein Fleisch- oder Fischfang garantiert war. Die Erste-Hilfe-Ausrüstung, medizinische und zahnärztliche Vorräte brauchten eine eigene Kiste und mussten sowohl akribisch sauber gehalten, als auch vor dem Einfrieren geschützt werden.
    Sam warf wie immer einen fragenden Blick auf die Gläser voller Betäubungsmittel, die Jack in einer kleinen Kiste heranschleppte.
    »So viele, Mr Sperry?«
    Dieser neue Missionar war doch anders als der alte, nahm Sam immer wieder mit Interesse zur Kenntnis.
    »Sam, ich ziehe Zähne nur mit sehr viel Betäubung!«
    Weder im Umgang mit Hunden noch in der Behandlung von Patienten wollte Jack die angriffslustige Art seines Vorgängers übernehmen.
    Bald war der Schlitten vollgepackt. Primitive Gottesdienstutensilien wie ein Abendmahlskelch fanden immer irgendwo Platz. Kirche in einem Schneehaus hatte allerdings wenig mit sakralem Glanz zu tun.
    »Haben wir an alles gedacht?«,

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