Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
denken. Aber, wie du siehst, würden wir ohne sie nicht weit kommen, ob beim Reisen – oder überhaupt!«
Jeder von Harolds 16 erwachsenen Arbeitshunden brauchte, um satt zu werden, genauso viel Essen am Tag wie ein aktiver Mensch. Gerade nachdem sich am Anfang des Winters die erste Eisschicht auf dem Coppermine-Fluss gebildet hatte, bewegten sich Schwärme von Arktislachs unter der Eisfläche – allerdings nur zufällig die Lösung dieses Problems. Um diese begehrte Ernte von Menschen- und Hundefutter einzuholen, legten die Einwohner Netze unter das Eis, eine extrem mühsame und nicht ungefährliche Aktion. War die Eisschicht zu dünn, folgte schnell ein frostiges Bad. War das Eis zu dick, bestand die Gefahr, dass die Delikatessen schon längst ins Meer geschwommen waren, bis man endlich in ihr Flussrevier eindringen konnte. Jack hatte von Harold gelernt, wie man bei idealer Eisdickte Löcher in das Eis hackte und ein schweres Seil mit Haken durch die Löcher zog. An diesem Seil zog Jack anschließend Unterwassernetze hindurch, ebenso von Gewichten am Platz gehalten. Somit entstand eine unsichtbare Barriere für ahnungslose Lachsschwärme, die unterwegs zum Meer waren, bevor sie in den Kochtöpfen dankbarer Arktisbewohner landeten. Zweimal am Tag wurden die Netze geleert und als Überlebensgarantie für den Winter in maßgefertigten Eishäusern aufbewahrt. Im Sommer holten Hundebesitzer diese Fischbestände heraus, um sie aufzuschlitzen, Eingeweide und Rückgrat zu entfernen und den Rest in der Sonne und im Wind zum Trocknen aufzuhängen. Die Trockenkost (»Pipfi« genannt) wurde für Winterreisen aufbewahrt. Während die Hunde im Sommer nicht arbeiteten, ernährten sie sich von den Fischeingeweiden. Schmackhaftere Fischteile wurden für die härteren Zeiten später im Jahr aufbewahrt.
Dass Snowball und seine Kollegen eigenständige Persönlichkeiten waren und nicht mit Lenkrad und Bremse gesteuert werden konnten, hatte Jack schon beim Lachsfang erlebt. Ausflüge zu den Netzen waren eine willkommene Gelegenheit, die Hunde, die im Sommer träge geworden waren, wieder an die Teamarbeit im Gespann zu gewöhnen. Nach ihrer Arbeitspause waren sie quirlig und eigensinnig. Die wichtigste Rolle im Rudel spielte der Leithund. Alle anderen folgten ihm, Befehle der Schlittenführer hin oder her. Aber selbst erfahrene Leithunde blieben eben Hunde. Snowball, der intelligente und geschickte, aber betagte Chef des siebenköpfigen Hundegespanns, das beim Lachsfang eingesetzt wurde, hatte es immer eilig, nach erledigter Arbeit seinen Feierabend zu genießen. So war es auch an einem Tag, an dem Harold und Jack den Schlitten mit Lachs beladen hatten. Snowball, der genug von der Arbeit hatte, raste los. Die Männer brüllten mit ganzer Kraft. Denn in halsbrecherischer Geschwindigkeit steuerte Snowball mitten auf ein Wasserloch zu, eine Stelle, an der die Wasserströmung die Bildung einer Eisschicht verhindert hatte. Snowball war aber nicht mehr zu stoppen. Harold und Jack konnten nur noch vergeblich schreien und vom Schlitten abspringen, um ihre eigene Haut zu retten. Snowball, sechs Hunde und der gesamte Tagesfang stürzten ins eiskalte Wasser.
Jetzt schmunzelte Jack, als er sich an dieses, sein erstes Abenteuer mit einem Hundegespann erinnerte und kraulte Snowballs Ohren.
»Und dann hast du es geschafft, alle Hunde am anderen Eisufer wieder herauszuziehen, sogar den Schlitten und unsere kostbaren Wintersteaks, ohne dass ihr euch in tiefgefrorenes Hundefleisch verwandelt habt. Du bist ein echter Held! Aber kommt, Freunde, es geht wieder los!«, sagte Harold.
Snowball sprang auf, zog an seiner Leine, und die anderen folgten. Bald waren sie wieder unterwegs. Nun waren es wieder elf Hunde, die fächerförmig in ihr Geschirr eingespannt waren und, Seite an Seite aneinandergepresst, mit disziplinierter Zielstrebigkeit in die weiße Landschaft vordrangen, Richtung Heimat. Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug etwa elf Kilometer pro Stunde in einem flotten Laufschritt, der allerdings stundenlang aufrechterhalten werden konnte, wenn nichts dazwischen kam. Schlittenhunde rennen nicht.
Jack hatte seine anfängliche Enttäuschung darüber überwunden, dass die Gespanne nicht mit dramatischer Geschwindigkeit über das Eis und den Schnee rasten wie in den Kinostreifen. Eigentlich war so eine Schlittenreise recht unspektakulär.
Momentaufnahmen eines Abenteuers
Es war Jacks zweiter Winter in der Arktis. Er genoss die Abenteuer im
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