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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Gottesdienst war schon in vollem Gange, ohne offiziellen Anfang.
    »Wisst ihr, dass Gott auch ein Jäger ist, aber nicht ein Jäger, der hinausgeht, um zu töten, sondern ein Jäger, der hinausgeht, um zu heilen und wiederherzustellen? Hier steht es: ›Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.‹ Gott ist immer auf der Suche. Nicht nach Ruhm und Reichtum, wie Menschen es tun. Auch nicht nach Nahrung für den Winter. Er ist auf der Suche nach verlorenen Söhnen und Töchtern, die er zurück nach Hause holen möchte.«
    Sam übersetzte die Worte des Missionars mit emotionsgeladener Stimme und gestikulierte mit seinen Händen. Anstelle von Gelächter herrschte plötzlich eine aufmerksame Stille.
    »Dazu erzählte Jesus einmal eine Geschichte. Ein Mann hatte zwei Söhne. Er hatte viele Felle verkauft, war ein geschickter Jäger und sehr erfolgreich. Der jüngere Sohn war aber faul geworden, wollte nicht mehr jagen gehen und wollte lieber in die Großstadt reisen.«
    »Der böse, faule Schlawiner!«, unterbrach die Gastgeberin empört.
    »Es wird noch schlimmer. Ich glaube, er reiste in den Süden, nach Edmonton. Er dachte, dort ist das Leben schöner und bequemer. War es aber nicht. Er wurde arm, hatte bald keine Freunde mehr und schlief draußen auf den eiskalten Straßen. Irgendwann, als er den Hunger nicht mehr aushielt, dachte er: ›Das Leben im Schneehaus war doch nicht so schlimm. Wir hatten wenigstens zu essen und wir hatten warme Karibufelle, in die wir uns nachts einwickeln konnten.‹ Er machte sich also auf den Weg nach Hause.«
    Eine kurze Pause zum Nachdenken. Metallbecher und Löffel klirrten, während ein Topf mit frisch gekochtem Tee herumgereicht wurde.
    »Was denkt ihr? Wird der Vater ihn zurücknehmen? Soll er ihn zurücknehmen?«
    Ein Raunen ging durch die Reihen. Einige kannten die Geschichte und nickten. Ein junger Mann rief: »Nur wenn er sechs Karibus mitbringt, Minihitak!« Alle lachten.
    »Genau! So würdest du, so würde ich denken!«, rief Jack zustimmend zurück. »Aber passt auf. So denkt dieser Vater nicht. Er vermisst seinen Sohn so sehr, dass es hier im Bauch wehtut.«
    Selbst das Klirren der Löffel in den Tassen verstummte.
    »Er sitzt am Eingang seines Iglus Nacht um Nacht und wartet, horcht nach dem Bellen eines Hundes, nach dem Rufen des Hundeführers, nach dem Zischen der Schlittenkufen auf dem Schnee. So wie ihr, wenn Besuch kommt und ihr es kaum erwarten könnt, bis das Gespann ankommt. Bei jeder Ankunft eines Schlittens rennt er aus seinem Iglu und fragt als Erstes: ›Ist mein Sohn bei euch? Habt ihr meinen Sohn gesehen?‹ Und er heult laut, wenn sein Sohn nicht dabei ist. Und genauso sucht unser Vater im Himmel nach uns.«
    Pause.
    »Oh Herr, lass es wenigstens ein paar Sekunden ruhig sein, damit die Botschaft in ihre Herzen fällt«, betete Jack still.
    Ein alter Mann hustete. Sonst bewegte sich niemand. Jack gab Sam ein Zeichen und er stimmte ein Lied an.
    »Bei diesem Vater musst du nichts mitbringen, um Liebe zu verdienen. Auch keine Tiere.« Er zwinkerte dem jungen Mann zu, der kurz zuvor verlangt hatte, dass der verlorene Sohn sechs Karibus mitbringt. »Du musst nur sagen: ›Ja, Herr, ich will nach Hause.‹ Er ist auf der Suche nach dir, immer auf der Suche nach den Kindern, die er verloren hatte. Er macht sich auf, verlässt seinen Iglu, stampft durch die Schneewehen, durch die Stürme, durch die eiskalte Nacht, nur weil er dich nach Hause bringen will.«
    »Diese lieben Menschen bringen mir bei, ohne es im Geringsten zu beabsichtigen, wie Christsein im Alltag gedacht ist«, lasen seine Freunde in seinem nächsten Rundbrief. »Weitab von Sakramenten, eleganten Gotteshäusern, liturgischen Ritualen und sonstigen Attrappen erlebt man Reich Gottes als Familienleben um das Lagerfeuer herum. Keine vorgetragene Frömmigkeit von der Kanzel und auf Kirchenbänken. Tee schlürfen und vereistes Fleisch miteinander lutschen. Ich habe das Gefühl, dort angekommen zu sein, wo Gott mich haben will, und fühle mich vollkommen zu Hause. Ohne jetzt in Gefühlsduselei abzurutschen: Das Beste und Nobelste, was die Menschheit erzeugen kann, gibt es ausgerechnet hier, wo die Welt am Wenigsten zu bieten hat. Eine Wärme mitten im eiskalten Abseits, die ich in der westlichen Welt nie erlebt habe. Der Mut, grenzwertigen Widrigkeiten, ja sogar dem Tod, permanent ins Gesicht zu schauen, ohne mit nur einem Wort zu klagen.«
    Ruhige Momente dauerten in

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