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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Iglus nicht lange. Schon unterbrach ein kleiner Aufruhr die andächtige Stille. Der Hausherr, Bill Wikiak, diskutierte in lautem Geflüster mit seiner Frau, die May hieß.
    »Der Minihitak kann in der Mitte schlafen. Da reicht der Platz für seine Beine«, sagte Bill.
    »Nein, er ist viel zu lang«, wand seine Frau ein, »seine Beine stoßen an die Wand und er kann sie nicht richtig strecken.«
    Normalerweise schlief ein Gast am Rand der Schlafplattform, aber kraft seiner langen Gestalt bekam Jack immer einen Ehrenplatz in der Mitte der Schlafreihe. Grund für den Aufruhr: May Wikiak wollte eine Schaufel holen und einen kleinen Anbau an der Außenwand des Iglus errichten, um Jacks Füße unterzubringen. Jack versicherte dem besorgten Ehepaar energisch, dass er auf ihrer Plattform auch ohne Anbau wunderbar schlafen würde.
    Dies stimmte allerdings nicht ganz. Die Eskimos tranken eine Menge Tee. Und deshalb schlief Jack nicht wegen seiner langen Beine schlecht, sondern wegen des kleinen Metalltopfs, der nachts bei Bedarf – und der Bedarf war groß – durch die Reihe gereicht wurde und immer an ihm vorbeimusste. Der Topf wurde nach jedem Durchgang in eine kleine Senkung im Schneeboden neben der Plattform geleert. Diese Aufgabe erledigte in der Regel eine Oma, die am Rand schlief. So verschwand jede ungewollte Flüssigkeit unter dem Eis. Keine Pfützen, kein Dreck, nur ein etwas sonderbarer Grundmief, an den man sich allmählich gewöhnte. Niemand fand das Prozedere peinlich, keiner machte alberne Witze. Das Erledigen von Grundbedürfnissen geschah diskret, höflich und nüchtern und doch in aller Öffentlichkeit.
    Jack lag halbwach in seinem Schlafsack. Sein Körper war todmüde, aber seine Seele verarbeitete immer noch Eindrücke und Gespräche des Tages. Eine totale Nachtstille gab es nie. Seine Augen folgten dem Schatten von May Wikiak, der sich an den in einem faden Gelb schimmernden Schneewänden des Iglus bewegte, jedes Mal, wenn sie nach dem »Kudlik« , der Specksteinlampe, schaute. Die niedrige Flamme musste die ganze Nacht lang am Brennen gehalten werden. Die Lampe wurde mit Robbenöl genährt und war das wichtigste Möbelstück im Iglu: die einzige Quelle von Wärme und Licht während langer Monate, in denen die Sonne ihr Gesicht nie zeigte. Eine einzige Kerze reichte, um ein großes Iglu den ganzen Winter durch bei einer Temperatur zu halten, in der man überleben konnte. Die Lampe stand nahe dem Eingang auf einem Brett aus einfachem Treibholz, das durch Holzstangen gestützt wurde. Töpfe hingen darüber an Haken von Stangen, denn auf dem Kudlik wurde auch gekocht.
    Als Jack Stunden später aus einem trägen Halbschlaf erwachte, war die »First Lady« wieder in Bewegung. Sie hatte die Flamme höhergestellt und war dabei, den ersten Tee zu kochen.
    »May kann nicht viel Schlaf bekommen haben«, dachte er, als er sich in seinem Schlafsack streckte, gähnte und sich fragte – nicht zum ersten Mal –, woher seine Eskimofreunde ihren Tagesrhythmus hernahmen, wenn es die meiste Zeit draußen dunkel war. Die Lampe war hell genug, um einen Blick auf seine Uhr zu ermöglichen. Es war tatsächlich schon sieben Uhr.

Architekten am Werk
    »Mr Sperry, aufwachen, aufwachen!«
    »Was ist, Sam? Ich bin schon wach!«, gähnte Jack.
    »Die Wikiaks bauen ein neues Iglu! Sie wollen, dass du das miterlebst, bevor wir uns morgen wieder auf den Weg machen! Du musst dich sehr beeindruckt zeigen.«
    Der Lärm von Männerstimmen und erregten Unterhaltungen zog Jack schnell aus seiner Müdigkeit und hinaus ins Freie, wo ein beinahe voller Mond in einem wolkenlosen Himmel die weiße Landschaft beleuchtete. Bill Wikiak und die anderen Männer waren schon bei der Arbeit.
    »Der Minihitak hilft mit und zeigt uns, wie er bauen kann!«
    Die Männer lachten wohlwollend. Bill schob Jack eine Schneeschaufel und ein Messer zu.
    »Das gibt guten Stoff für den nächsten Brief an Betty«, dachte Jack und fing an, mit festen Hieben seines Schneemessers rechteckige Blöcke aus dem Berg hart gepackten Schnees auszuschneiden, an dem die anderen Männer schon arbeiteten. So viel wusste er schon: knapp ein Meter auf 60 Zentimeter, 30 Zentimeter dick. Vom Wind verwehter Schnee hatte die beste Bauqualität. Dieser war perfekt. Mit Genugtuung beobachtete er, wie das neugierige Kichern seiner Freunde nachließ und einem beeindruckten Staunen nachgab. Er grinste sie an und fing an, sie mit einer gespielten Besserwisserei herumzukommandieren.
    »Hey,

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