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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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bleiben. Während sie in ihrer Fantasie noch alte Eskimotöpfe klappern hörten, die Klänge von Trommeln und Lachen, schliefen die Kinder ein.
    Stolz präsentierten die drei Sperrys am nächsten Tag ihre Funde in der Ausgrabungszentrale, die in einem Zelt eingerichtet war. Dort wurden die zahlreichen Stücke von Metall und Stein auf dem sandigen Boden ausgebreitet und nacheinander beschriftet.
    Mit ein wenig Schadenfreude in den Augen beobachtete Johnny, wie die Fundstücke seines Vaters nacheinander in die Müllkiste am Zeltrand geworfen und nur zwei oder drei zur weiteren Untersuchung auf den Tisch gelegt wurden.
    »So, Kinder, was habt ihr gefunden?«, fragte der Chefarchäologe.
    Trotzig leerte Johnny den gesamten Inhalt zweier prall gefüllter Hosentaschen auf den Boden.
    »Huch, was haben wir denn hier, kleiner Mann? Schau mal, dieser runde Stein wurde nicht vom Wasser abgeschliffen, sondern ist Teil eines uralten Steingefäßes, er könnte sogar Tausende von Jahren alt sein. Und hier haben wir tatsächlich eine Pfeilspitze.«
    »Das ist der Stein, den ich dir zeigte und zu dem du sagtest, ich soll ihn wieder wegschmeißen, Dad«, flüsterte Johnny fröhlich und laut genug, dass alle im Zelt ihn hören konnten, »es gab auch andere … ich hab sie alle behalten!« Er hüpfte vor Aufregung auf und nieder. Die gesammelten Schätze aus seinen Hosentaschen ergaben Überreste eines Pfeils, den Rumpf einer aus Walknochen geschnitzten Figur und Behälter aus Speckstein.
    »Sie können auf Ihren Sohn mächtig stolz sein, Mr Sperry«, war die Bilanz am Ende der Familienexpedition. »Er hat ein Auge für die antike Welt!«
    John Sperry junior, ganz der schelmische Sohn seines Vaters, ließ auch Jahre später keine Gelegenheit aus, um seinen Vater mit seiner archäologischen Überlegenheit zu hänseln.

Es grüßt die Zivilisation
    Das Naturschauspiel der Jahreszeiten wechselte im Eiltempo. Sobald sich das Birkenlaub von Grün in Orange verwandelte, wusste man, dass der Herbst im Anmarsch war.
    Das ganze Grasland schimmerte in Bronze, während die Tage wieder kürzer wurden. Gräser streuten ihre Samen, trockneten aus und raschelten im Wind. Schon war es Zeit, sich für den Winter zu rüsten. Bis Mitte September sanken die Temperaturen bereits unter null, und der Coppermine-Fluss fing an, wieder seinen Eismantel anzuziehen.
    Spätestens wenn die Gänse in V-Formationen über dem Ozean gen Süden abzogen, fühlte man sich einsam und zurückgelassen in einem Wechselbad der Emotionen. Bald danach aber, wie eine Art Entschädigung für den Abschied des Sommers, brach der Zauber der »Aurora Borealis«, der Polarlichter, am Nachthimmel über Coppermine aus, eine spektakuläre Erinnerung daran, dass gerade in diesen verlassenen Ländern »die Himmel die Herrlichkeit des Herrn verkünden«. Fesselnd und von umwerfender Schönheit war das Spektakel der Polarlichter mit ihren Farb- und Lichtmustern, die über den Himmel flimmerten. Das lebendige Kunstwerk kündigte sich mit zwei oder drei Lichtstrahlen an, die leise über die dunkle Nachtkulisse schlichen, sich aber nach und nach in wechselnden Gestalten ausbreiteten, bis ein schimmerndes Lichtermeer, mit allen Farb- und Zwischentönen des Regenbogens geschmückt, über das Firmament tanzte und sich in einen grün-goldenen Nebel auflöste, durch den man die Sterne sehen konnte. Dann war es vorbei. Übrig blieb eine schlummernde Kristalllandschaft, gebadet im silbernen Schein des aufgehendes Mondes.
    »Aufstehen, aufstehen! Das Schiff kommt!« Höhepunkt des Arktis-Spätsommers war »Shiptime«. Im Nu war das ganze Dorf aus dem Tiefschlaf gerissen, Türen schlugen zu, Fenster flogen auf, Schreie der Aufregung hallten von einer Hütte zur nächsten, Dorfbewohner zogen Parkas über Schlafanzüge, Karibustiefel über Bettsocken. Innerhalb weniger Minuten war jedes Haus leer. Jedes lebendige Wesen der gesamten Gegend, einschließlich Hunde, wartete in gespannter Begeisterung am Meeresufer. Es spielte keine Rolle, dass das Schiff noch ein winziger Punkt am Horizont war, kaum sichtbar im grauen Nachthimmel, und mindestens eine Stunde brauchen würde, bis es anlegte. Fehlalarme hatte es schon mehrere gegeben. Manch eine sehnsüchtige Seele hatte in den Wochen davor in ihrer Fantasie ein Schiffshorn gehört, es begeistert verkündet und ganz Coppermine vergebens ans Ufer gelockt. Die darauf folgende Enttäuschung war jedes Mal groß. Denn dieses Schiff trug in seinem Laderaum die

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