Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
freuen konnte«, sagte Angela, immer noch von dem Gedanken betrübt, dass unschuldige Eskimos hier ihr Leben gelassen hatten.
Der Anlass für Jacks Expedition mit seinen Kindern war die aufregende Nachricht, dass Archäologen neben der Stromschnelle ein altes Eskimodorf gefunden und Ausgrabungen begonnen hatten. Der Leiter der Archäologengruppe hatte Jack eingeladen, ein paar Tage lang mit seinen Kindern an den Ausgrabungen teilzunehmen.
»Es könnte sogar das Dorf sein, in dem die ermordeten Eskimos damals lebten«, erklärte Jack, als sie sich der Stelle näherten.
Auf sie wartete ein Stück Zeitgeschichte. Die Archäologen suchten nach Pfeilspitzen, Geräten aus Knochen und Stein, nach Überresten von Eskimo-Wohnstätten. Sie zeigten den Kindern, woran man Funde erkennen konnte, die Geheimnisse des Altertums preisgaben und später die Regale von Museen schmücken würden. Graben musste man nicht, da die Sandbänke und Flutbewegungen immer wieder das freilegten, was unter der Oberfläche verborgen war.
»Euer Suchrevier ist dort drüben«, sagte der Leiter der Expedition.
»Wow, Dad, er behandelt uns wie richtige Archäologen!«, sagte Johnny.
»Das sind wir jetzt auch«, antwortete Jack, »aber bitte zeigt mir alles, was ihr findet, ich sage euch, was wichtig sein könnte und was ihr wieder wegwerfen könnt.«
Ganz konfliktfrei war das archäologische Vater-Kind-Unternehmen nicht. Jeden Gegenstand, der nach etwas anderem als ein Stein aussah, brachten die Kinder eilends zu ihrem allwissenden Vater, dessen geübtes Auge entschied, ob es sich um einen seriösen Fund handelte oder nicht.
»Angela, ich bin sicher, das ist ein Stück von einem Pfeil und kein Stein. Ich werfe es bestimmt nicht weg, egal, was Dad sagt«, grummelte John, nachdem Jack den begeisterten Aufschrei seines Sohnes mit einem verachtenden Blick zum Schweigen gebracht hatte.
»Dann nimm es mit«, erwiderte Angela, »wir behalten es zum Spielen.«
»Gute Idee«, beschloss John.
Abends lagen drei müde Polarforscher auf dem Rücken in ihren Schlafsäcken. Alle drei verschränkten ihre Arme hinter dem Kopf und bestaunten durch den offenen Zelteingang hindurch den klaren Himmel der immer kürzer werdenden Sommernacht.
»Manchmal glaube ich, die Sterne leben wirklich«, murmelte Angela mit schläfriger Stimme, »Orion, Stier, Zwillinge … wie heißen die anderen noch mal?«
»Der Große und Kleine Hund, der Fuhrmann …«, ergänzte ihr Bruder, »und natürlich der Große Bär. ›Arktos‹ bedeutet Bär. Die Arktis ist das Land unter dem Sternenbild des Großen Bären.«
»Eine Geschichte, Dad, aber bitte keine gruselige.« Angela gähnte.
»Ich will eine gruselige, Dad!«, kam eine wachere Stimme von der anderen Seite.
»Dann nehmen wir eine halbgruselige, ohne Blut«, antwortete eine tiefe Stimme aus dem langen Schlafsack in der Mitte zwischen den zwei kleinen.
»Seid ihr bereit? Also, einmal im Sommer zelteten zwei Missionarsfamilien auf einer der Inseln. Bevor sie schlafen gingen, entdeckten sie in der Nähe die alten Überreste eines Eskimocamps. Pfeilköpfe, Harpunen, Gräber.«
»Genau wie wir heute!«, rief John aufgeregt.
»Ja, so ähnlich. Sie dachten sich nichts dabei und gingen schlafen. Die Landschaft um sie herum war mucksmäuschenstill. Plötzlich, mitten in der Nacht, fing einer ihrer Hunde an, wie wild zu bellen. Ein Missionar wachte auf. Er stellte fest, dass es draußen inzwischen alles andere als still war. Zu hören waren die Geräusche eines Eskimolagers in vollem Betrieb: Stimmen, das Lachen von Kindern, bellende Hunde, das Schleifen von Messern und Klappern von Töpfen, Trommeln, Tanzen. Er setzte sich in seinem Schlafsack auf und meinte, durch seine Zeltwand das Flimmern von Lichtern zu sehen. Plötzlich war alles wieder vorbei. Er dachte, er hätte geträumt, legte sich hin und schlief ein. Am nächsten Morgen entdeckte er, dass auch die andere Familie genau die gleichen Geräusche gehört hatte. Auch diese Familie dachte, sie hätte geträumt.«
»Das waren also Geister!«, Angelas Stimme war nicht mehr schläfrig. »Und wenn die Geister heute Nacht zu uns kommen …?«
»Sie tun uns nichts, keine Sorge, Angela! Jetzt kuscheln wir uns alle zusammen in unsere Schlafsäcke und schlafen ein, o. k.?«
Eine stundenlange Wanderung, ein aufregender Tag im Freien, die spannende Suche nach alten Relikten, Lagerfeuer mit geröstetem Lachs: Wegen eines möglichen Geisterbesuchs lohnte es sich nicht, wach zu
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