Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
nicht Dad«, sagte Angela enttäuscht. Die lange, dürre Gestalt und die aufrechte Körperhaltung ihres Vaters erkannte sie schon aus der Ferne und im Halbdunkeln, auch wenn er auf einem Schlitten saß.
»Aber sie werden vielleicht etwas von ihm wissen«, antwortete ihre Mutter, für die selbst das kleinste Lebenszeichen von Jack eine Erleichterung war.
Ankommende Schlitten machten immer als Erstes am Missionshaus Station, um Betty, und Jack, wenn er zu Hause war, zu grüßen und Neuigkeiten aus den umliegenden Regionen zu bringen.
Tatsächlich wussten sie zu berichten, dass der Minihitak unterwegs war, er und Alec seien guten Mutes, sie seien nur durch den Sturm aufgehalten worden und würden in den nächsten Tagen eintreffen.
»Noch ein paar Mal schlafen, Angela. Geh jetzt und wecke Johnny. Wir machen Frühstück und malen ein Bild für Dad. Vielleicht schafft er es rechtzeitig zu meinem Geburtstag, wer weiß?«
»4. Februar
Drei Tage lang steckten wir im Sturm fest. Zusammengekauert in einem winzigen Zelt einen tobenden Blizzard auszusitzen, ist eine echte Qual. Um Brennstoff zu sparen, lagen wir im unbeheizten Zelt in unseren Schlafsäcken auf dem harten Schnee. Wie sehr sehnten wir uns nach Bewegung. Unser Hundefutter wurde indessen immer knapper. Die Tiere scheinen nicht weniger Hunger zu haben, wenn sie ruhen, als wenn sie rennen.
Karibus waren irgendwo in der Nähe, aber nicht in Schussweite, sie nahmen unsere Witterung früh auf und ergriffen die Flucht.
5. Februar
Wir standen um 3.30 Uhr auf und gingen den ganzen Tag zu Fuß, um die Hunde zu schonen und in der Hoffnung, an diesem Tag noch nach Hause zu kommen. Für eine weitere Übernachtung hätte das Hundefutter nicht mehr gereicht und wir wären darauf angewiesen, auf Karibus zu stoßen. Bei diesem Wetter war das nicht wahrscheinlich. Unser eigener Proviant war auch knapp. Zu unserer Erleichterung blies der Wind wenigstens in die richtige Richtung, so konnten wir die Hunde rennen lassen. Sie riechen Menschen aus großen Entfernungen und folgen einfach ihren Nasen.
Ein Treck bei diesen schonungslosen Winterwinden bringt einen an die Grenze des Menschenmöglichen. Die Lippen werden spröde und bluten vor Kälte. Treibende Eispartikel stechen und schneiden ins Gesicht, dringen in die Nähte und Risse der Kleidung ein. Der Atem gefriert und blockiert Mund und Nasenlöcher, die Augenbrauen frieren fest. Man muss oft husten, weil die schneidende Luft die Lungen regelrecht quält. Die Gesichtspartien, die nicht zugedeckt sind, frieren immer wieder ein, man kann sie nur auftauen, indem man die nackte Hand daraufdrückt. Die muss man aber schnell wieder in den Handschuh stecken, damit sie wieder Wärme aufnimmt und nicht selbst einfriert. Das Gesicht auf diese Weise warm zu halten, ist ein ununterbrochener Kraftakt. Wegen der Anstrengung steigt das Durstgefühl. Und gerade dann muss man aufpassen und der quälenden Versuchung widerstehen, an einem Stück Eis zu lutschen oder, wie die Hunde, eine Handvoll Schnee zu schlucken. Einen solchen Eisschock würde der Körper nicht verkraften.
Deshalb trägt der erfahrene Arktisreisende eine Wasserflasche am Körper, die er jeden Morgen mit Eisbrocken füllt und dann nach hinten zwischen seine Schulterblätter hängt. So bleibt das Wasser auf Körpertemperatur und kann jederzeit getrunken werden. Das ist wichtig, denn wenn dem Körper nicht genug Flüssigkeit zugeführt wird, wird das Blut dickflüssig und die Kräfte schwinden. Es wird einem schwindelig und man fängt an, zu halluzinieren.
Noch nie habe ich bei einer Reise die Abhängigkeit von meinem Begleiter so tief gespürt. Ich war über alle Maßen erschöpft und immer wieder den Tränen nahe. Alec sorgte dafür, dass ich in Bewegung blieb und ja nicht anhielt. Manch ein Reisender ist von einer gut gemeinten Ruhepause nicht wieder auf die Beine gekommen. Ich dachte immer wieder: ›Ich kann nicht mehr, ich werde diese Reise nicht überleben.‹ Aber wenn es hart auf hart ging, zauberte ich immer wieder irgendwo Reserven hervor, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte, und staunte gleichzeitig, was man dem Körper bei diesen Reisen zumutet. Man muss sich selbst ständig überlisten, um nicht aufzugeben. Nur an die nächste kurze Etappe der Reise denken, ja nicht an die ganze Wegstrecke, die noch vor einem liegt.
Und so war es kraft einer übermenschlichen psychischen als auch körperlichen Anstrengung, dass wir Coppermine endlich um 10.30 Uhr
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