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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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abends erreichten. Den Marathon im Eis hatten wir hinter uns gebracht. Planmäßig und gerade rechtzeitig, um Betty alles Gute zum Geburtstag zu wünschen. Schon wieder ist eine Reise vorbei.«
    Angela wurde wie versprochen extra aus dem Bett geholt und warf sich mit unbändiger Freude auf ihren erschöpften Vater, den sie nicht mehr losließ, bis ihre Augen von alleine zufielen und sie sanft in ihr Bett getragen wurde. Bettys Freude drückte sich in einem tiefen, inneren Seufzer der Erleichterung aus und einem Dankgebet, dass Gott ihr schon wieder durch den Schmerz einer Trennung hindurchgeholfen hatte. Nur jene Seele, die eisige Tiefen der Verzweiflung und der inneren Not erlebt hat, ist fähig, auch die Ekstase von Dankbarkeit und Freude auszukosten, die etwas Einfaches wie das Wiedersehen mit einem geliebten Menschen auslösen kann.

»Spricht Gott auch unsere Sprache?«
    »Heute wollen wir über einen Jungen namens David sprechen.«
    Es war wichtig, eine Predigt in klaren und einfachen Begriffen zu beginnen. Jack hielt inne, um seinen Dolmetscher zu Wort kommen zu lassen.
    »Heute, sagt er, wird er über den Jungen David reden – ihr wisst, wen er meint – denjenigen, der auf Schafe aufgepasst hat und Gott sehr lieb hatte.«
    Nachdem er mit der Sprache vertraut war, kam Jack allmählich dahinter, warum der Dolmetscher viel mehr Zeit als er selbst brauchte, um den Zuhörern einen Gedanken nahezubringen. Es lag nicht nur daran, dass die Sprache verzwickt und langatmig war.
    »David war nämlich ein Hirte«, fuhr Jack fort.
    »Wie ich schon sagte, kümmerte sich David um Schafe und sang dabei Lieder und dichtete Psalmen.«
    »Er liebte Gott.«
    »Ich habe schon gesagt, dass er Gott liebte. Weiter, Mr Sperry.«
    »Eines Tages sandte Davids Vater ihn auf eine Reise.«
    »Eines Tages, sagt der Minihitak , schickte Davids Vater ihn auf eine Reise, um seine Brüder im Krieg zu besuchen und nach ihrem Wohlergehen zu fragen. Wir wissen schon, wie es ausgeht – das ist ja die Geschichte, in der er Goliath den Riesen erschlägt.«
    Jack versuchte, sich nicht zu ärgern.
    »So, der Beschluss steht fest, ab der nächsten Reise predige ich in Inuinaktun!«, schrieb er in sein Tagebuch, als er wieder zu Hause war.
    Je flüssiger er sich in der einheimischen Sprache unterhalten, Geschichten erzählen und biblische Wahrheiten weitergeben konnte, desto intensiver beschäftigte er sich mit der Idee, diese Wahrheiten für seine Gemeinden schriftlich festzuhalten. »Illusorisch, Wunschdenken, das wäre doch eine Sisyphusarbeit«, protestierte eine innere Stimme.
    Doch eines Tages wurde aus der Idee ein fester Entschluss. Es war, als er versuchte, einem Dorfältesten mit dem Namen Kituligak in einer Siedlung in Cambridge Bay nach einem Jagdunfall Mut zu machen. Die Schusswunde, die der Jäger sich selbst aus Versehen am Bein zugefügt hatte, war von Jack gereinigt, sauber zugenäht und verbunden worden. Die Verletzung war nicht tödlich. Kituligak aber lag auf seiner Schneeplattform und zitterte am ganzen Leib. Seine Augen verdrehten sich unkontrolliert und seine Lippen stammelten ununterbrochen Worte, die Jack nicht verstehen konnte. Jack hielt ihn in seinen Armen und streichelte ihm über das Gesicht und über die Haare.
    »Was ist mit dir, Kituligak?«, fragte er. »Schau mal, Gott hat dich beschützt. Es hätte viel schlimmer sein können. Bald wirst du wieder gesund sein!«
    »Nein, ich werde sterben. Ich habe ein Tabu gebrochen, ich bin verflucht, ich habe keine Chance zu leben.«
    Jack wurde streng. »Hast du dein Vertrauen in Jesus Christus gesetzt oder nicht, Kituligak?«
    Ein verängstigtes Nicken.
    »Und was haben wir heute in der Bibel gelesen?«
    »In der Welt habt ihr Bedrängnis. Aber seid guten Mutes. Ich habe die Welt überwunden.«
    »Richtig. Das heißt, dass er auch deine Angst überwunden hat.«
    »Aber im Moment glaube ich an gar nichts, Minihitak – ich habe nur Angst, die ganze Zeit nur Angst.«
    Als Jack und Betty ihre Arbeit in Coppermine begannen, hatten sich schon viele ehemalige Schamanen zum christlichen Glauben bekehrt. Ganze Siedlungen waren deshalb schon christlich geprägt. Die panische Angst vor unsichtbaren Geistern, die mit willkürlicher Schadenfreude Flüche auf Menschen legten und auch über Wetter und Land herrschten, hatte zwar abgenommen, aber dennoch waren die Geister im Denken dieser Menschen immer noch präsent. Jack hatte Mühe, ihnen zu vermitteln, dass der Schöpfergott ein

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